Autismus und Shutdowns

Ich habe selten einen Blogbeitrag geschrieben, der mir so am Herzen lag wie dieser. Ich habe nämlich versucht Infos zu Shutdowns zu finden und ich habe so gut wie nichts gefunden. Alle, die ich kenne, die mit Autisten arbeiten, haben noch nie von Shutdowns gehört. In den Büchern, die ich habe, werden Shutdowns nie erwähnt. Und im Internet habe ich sogar auf Deutsch, Englisch und Dänisch gegoogelt und auch nicht viele Informationen gefunden, die mir wirklich weitergeholfen haben. Es gibt online ein paar Infos, aber wenige Erfahrungsberichte von Autisten. Deswegen will ich meine Geschichte teilen. Es war schon immer mein Wunsch mit meinem Blog auf die Dinge aufmerksam zu machen, über die man sonst schwer Informationen kriegt. Ich hoffe, dass ich mit diesem Blogbeitrag anderen in meiner Situation helfen kann.

Was sind Shutdowns?

Viele, die etwas über Autismus wissen, haben schon einmal von Meltdowns gehört. Ich weiß ehrlich gesagt selbst nicht viel über Meltdowns. Aber so wie ich es bisher verstanden habe, kann man sagen, dass Meltdowns eine nach außen gehende Reaktion ist und Shutdowns im Gegensatz dazu nach innengerichtet sind. Man kann sich einen Shutdown ungefähr so vorstellen wie einen Zusammensturz von einem Computer. Wenn man bei einem Computer zu viele Programme geöffnet hat, kann es passieren, dass er plötzlich gar nicht mehr reagiert. Bei Autisten wird so etwas Shutdown genannt. Manche Autisten können dann nicht mehr reden. Andere können sich nicht mehr bewegen. Es kann auch passieren, dass man weder reden noch sich bewegen kann. Das ist eine ziemlich kurze Erklärung. Ich weiß aber ehrlich gesagt nicht, wie ich es besser erklären soll. Vielleicht ist es leichter Shutdowns zu verstehen, wenn ich von meinen eigenen Erlebnissen erzähle.

Asperger und Shutdowns

Ich tue mir ehrlich gesagt schwer damit meine Erfahrungen mit euch zu teilen. Wenn ich Leuten erzähle, dass ich Asperger habe, sagen sie oft: „Das merkt man dir ja gar nicht an. Du musst wirklich hochfunktional sein“ Teilweise haben sie damit vermutlich recht. Ich funktioniere immerhin im Alltag gut. Und genau deswegen tue ich mir schwer damit zuzugeben, dass ich Shutdowns habe. Wenn ich meinen Alltag so gut unter Kontrolle habe, wieso kann ich dann nicht auch meine Shutdowns unter Kontrolle haben? Bin ich etwa schwach? Gebe ich mir nicht genug Mühe? Das ist natürlich schwachsinnig. So ist es nicht. Aber wenn man sonst niemanden kennt, der Shutdowns erlebt hat, bekommt man einfach solche Gedanken. Man kommt sich komisch und verkehrt vor.

Ich hatte nie Bedenken oder Angst davor von meiner Asperger Diagnose zu erzählen. Aber ich werde wirklich nervös, wenn ich darüber nachdenke öffentlich meine Erfahrungen mit Shutdowns zu teilen. Wenn man selbst noch nie einen Shutdown hatte, kann man sich schwer vorstellen, was das überhaupt ist. Deswegen habe ich Angst, dass Andere mich für verrückt halten könnten. Aber ich habe meinen Blog ja um Vorurteile zu beseitigen und auch um über unangenehme Dinge offen zu reden. Deswegen teile ich meine Geschichte trotzdem mit euch.

Mein erster Shutdown

Ich hatte meinen ersten richtigen Shutdown vor ungefähr drei Wochen. Ich bin vorher mal über das Wort Shutdown gestolpert, hatte aber keine Ahnung, was ein Shutdown wirklich ist. Ich glaube, dass sich an dem Tag von meinem ersten Shutdown oder vermutlich schon an den Tagen und Wochen davor Vieles angesammelt hat. Ich war also emotional nicht ganz so stabil. Auf jeden Fall war es so, dass mein Freund bei mir zu Besuch war. Ich wolllte ihm etwas erklären. Ich wusste genau, was ich sagen wollte und ich wusste, dass es wichtig war. Aber es ging mir in dem Moment nicht gut. Ich war ein bisschen traurig und schlecht drauf.

Mein Gehirn war plötzlich komplett überfordert. Ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. Ich hätte die Situation ganz einfach lösen können, indem ich einfach gesagt hätte, was ich sagen wollte. Aber ich konnte plötzlich nicht. Mein Körper war wie eingefroren. Ich weiß nicht, wie es anderen Autisten bei Shutdowns geht, aber mein Gehirn hat relativ gut funktioniert. Ich hatte die genauen Sätze im Kopf, die ich aussprechen wollte. Aber es war unmöglich für mich zu reden. Ich hatte plötzlich auch keinerlei Energie in meinem Körper übrig. Ich musste mich hinlegen und konnte mich nicht mehr viel bewegen.

Nicht können oder nicht wollen?

Die meisten, mit denen ich über meine Shutdowns geredet habe, haben mich sofort gefragt, ob ich nicht reden und mich nicht bewegen KANN oder ob ich nicht WILL. Oder sie wollen zumindest wissen, ob ich selbst wähle nicht zu reden und mich nicht zu bewegen, wenn ich einen Shutdown habe. Ich glaube nicht, dass es Allen mit Autismus so geht, aber ich habe auf jeden Fall selbst viele Gedanken in meinem Kopf während eines Shutdowns. Das heißt, ich würde sehr gerne reden können. Aber ich kann tatsächlich nicht. Beziehungsweise manchmal kann ich ein paar einzelne Wörter oder kurze Sätze sagen, aber nie längere Sätze.

Die meisten von euch werden sich vermutlich denken, dass mit meinem Körper ja nichts verkehrt ist. Also muss ich ja reden und mich bewegen können. Das stimmt. Zumindest in meinem Fall. Wenn ich zum Beispiel während eines Shutdowns unbedingt auf die Toilette muss, kann ich langsam aus dem Bett aufstehen. Und wenn es um mein Leben gehen würde, könnte ich sicherlich auch reden. Aber es fühlt sich wirklich unmöglich an. Ich kann mich also nicht einfach dazu zwingen zu reden. Und das sollte ich auch gar nicht, wenn es mir so geht.

Schreiben anstatt reden

Zurück zu meiner Geschichte von meinem ersten Shutdown. Bevor ich mich hingelegt habe und für ungefähr eine halbe Stunde so gut wie nicht mehr geredet habe, habe ich gerade so noch einen Satz rausgebracht. Ich habe meinem Freund gesagt, dass ich gerade nicht reden konnte. Wir hatten beide keine Ahnung, was mit mir los war. Ich bin also sehr überrascht, dass er mich nicht für verrückt gehalten hat. Er war anstatt dessen total verständnisvoll und hat die Situation so akzeptiert, wie sie war. Ich lag also mit dem Gefühl im Bett, als ob ich keinerlei Kontrolle über meinen Körper hätte. Ich wollte immerhin so viele Dinge sagen.

Irgendwann kam mir die Idee, dass ich genug Energie zum Schreiben haben könnte. Aber die Idee kam mir so dumm vor. Ich liege neben meinem Freund und denke darüber nach ihm zu schreiben?! Ich wollte meinen Freund fragen, ob es sehr komisch wäre, wenn ich etwas aufschreiben würde. Ich habe also 10 Minuten lang versucht genug Energie für einen Satz zu sammeln. Und ich habe es tatsächlich geschafft. Ich habe ihn gefragt: ”Darf ich komisch sein?“. Er hat natürlich ja gesagt. Ich habe also mein Tablet genommen, das zum Glück direkt neben meinem Bett lag. Ich habe angefangen zu schreiben, wie peinlich es mir war, dass ich nicht reden konnte. Und ich habe versucht ihm zu erklären, was mit mir los war. Es war wirklich gut endlich all die Gedanken loszuwerden.

Video über Shutdowns

Ich glaube, bis ich mich wieder von einem Shutdown erholt habe und wieder relativ normal reden kann, vergeht mindestens eine Stunde. Als es mir nach diesem ersten Shutdown zumindest ein bisschen besser ging, habe ich angefangen darüber nachzudenken, was überhaupt gerade mit mir passiert ist. Ich habe keine Ahnung, wann ich mal etwas über Shutdowns gelesen habe. Es war auf jeden Fall nicht viel. Aber es war genug um auf die Idee zu kommen, dass ich eventuell einen Shutdown hatte. Ich habe meinem Freund in einem ganz kurzen Satz gesagt, dass ich glaube herausgefunden zu haben, was mit mir los war. Ich habe also schnell gegoogelt und das beste, was ich gefunden habe, war ein „Ask an Autistic“-Video von Amythest Schaber: https://www.youtube.com/watch?v=3WIiL8vBjq0 Mein Freund und ich haben es zusammen angeschaut und danach waren wir uns beide einig, dass es wirklich ein Shutdown gewesen sein muss.

Ein zweiter Beitrag

Es gibt noch so viele Dinge, die ich über Autismus und Shutdowns schreiben möchte, aber der Text hier soll ja kein Roman werden. Ich werde also in den nächsten Wochen einen zweiten Beitrag online stellen, in dem es unter anderem um ein paar meiner anderen Shutdowns geht. Ich schreibe auch darüber, was zu Shutdowns führen kann und vor allem was einem helfen kann.

Hier ist mein zweiter Beitrag: https://www.unbemerkt.eu/de/mehr-ueber-autismus-und-shutdowns/

13 Kommentare zu „Autismus und Shutdowns“

  1. Marie-Luise Zink

    Hallo Nici,

    ich würde gerne mehr darüber erfahren, kann man dich auch per email erreichen.
    Ich habe eine knapp 17 jährige Tochter und glaube, sie hat auch oft Shutdowns.

    lg Mary

    1. Hallo 🙂
      Du kannst gerne auf “Kontakt” klicken und von dort aus schreiben. Das kommt dann an meine Mailadresse.
      Liebe Grüße,
      Nici

  2. Ich würde auch ein paar Erfahrungen teilen, aber leider scheint es ein Zeichenlimit für die Kommentare zu geben. Dann halt nur kurze Eckdaten: je nach Situation dauert ein Shutdown zwischen 30 minuten und sehr vielen Stunden. Bewegungsunfähigkeit und Sprachunfähigkekt sind bei mir meist zusammen, wobei ich immer noch nicken oder den Kopf schütteln kann.

  3. Hallo 🙂
    Ich kenne Shutdowns sehr gut. Die extremsten sind bei mir ebenfalls so, dass gar nichts mehr geht. So ganz knapp gesagt. Bei mir dauern die aber länger und die heftigsten die ich bis her hatte (2) auch über mehrere Tage.
    Peinlich, wenn genau das in der Schule geschieht.

    Liebe Grüße

    1. Wow, das klingt wirklich anstrengend. Ich habe das Glück, dass ich Shutdowns meistens noch so lange verdrängen kann, bis ich Zuhause bin.
      Liebe Grüße
      Nici

  4. Hi Nici!

    Ich wurde erst vor kurzem mit Asperger diagnostiziert, gespürt habe ich es allerdings schon immer.

    Seit ich mich zurück erinnern kann, hatte ich im Extremfall immer Meltdowns. An Shutdowns erinnere ich mich erst seit dem ich weiß, dass sie eine Bezeichnung haben.

    Erst heute hatte ich einen Shutdown. Ziemlich so, wie du es beschreibst.

    LG

  5. Hallo,

    Ich glaube, ich hatte gerade eben einen kurzen Shutdown. So ca. 45 Minuten lag ich unterm Schreibtisch, konnte mich kaum bewegen und hatte extreme Kopfschmerzen, die vermutlich auch Teilweise der Auslöser waren. Zum Glück zu Hause, aber trotzdem nicht angenehm. Jetzt bin ich total Kraftlos, zittere und kann kaum Tippen, aber der Beitrag lenkt mich gerade glücklicherweise etwas ab.

    LG

  6. Hey,
    Ich selber habe Borderline und deswegen dissoziiere ich manchmal, das Ding ist, das dissoziieren klingt exakt wie der Shutdown, nun frage ich mich, ob es das gleiche ist oder ob es einen Unterschied gibt

  7. Kirsten Dethlefsen

    Danke für diese Offenbarung!
    Ich dachte mein Körper sei krank denn ich habe null Energie…lege mich hin in meinem kleinen Schlafzimmer.
    Gardinen tauchen es ein in ein demriges Licht .
    Etwa 1 Stunde absolute Ruhe,Ein kurzes Schläfchen hilft am besten .
    Präsent sein ist dann unmöglich .
    Ich habe 4 Kinder die alle so gut wie erwachsen sind .3 meiner Kinder geht es wie mir .
    Mein jüngster bekommt Migräne wenn die Schule ihn zuviel wird .
    Die richtige Dosis finden von Reizen.
    Und auch mal Nein sagen ist wichtig .
    Liebe Grüße kirsten

  8. Hi
    Ich habe zwar noch keine offizielle Diagnose, aber viele Anzeichen für asperger. Bei mir ist es nämlich so, ich verfalle in einen Zustand der wie ein Wachkoma ist. Zwar habe ich Gedanken, kann die allerdings nicht so genau ordnen und wenn ich versuche zu reden kommen nur geräuche raus. Ich war sehr erstaunt, dass sich manche bewegen können, da ich wie gesagt nur sitze/ liege und mich kaum äußern kann. Die Anzahl der Shutdowns ist bei mir auch abhängig von der psychischen Stabilität, deswegen versuche ich immer meine Psyche in den Griff zu kriegen.
    Cooler Blog, hat mir sehr geholfen

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