Boxendenken

Ich wollte schon seit Monaten über dieses Thema schreiben. Ich habe nur nie ein passendes Beispiel gefunden um zu erklären, was ich mit Boxendenken meine. Jetzt habe ich aber, glaube ich, ein gutes Beispiel um es zu erklären. Ich bin mir nicht sicher, ob Boxendenken mit Asperger oder Autismus zusammenhängt, aber viele, die mich kennen, finden es auf jeden Fall etwas „anders“ so zu denken 😉 .

Mir ist in den letzten Monaten immer wieder aufgefallen, wie sehr ich in Boxen denke. Ich kategorisiere Menschen und Geschehnisse und es ist schwierig für mich verschiedene Boxen zu vermischen. Meiner Familie ist das schon früher an mir aufgefallen, aber ich habe mir nie selbst Gedanken darüber gemacht, dass ich anders denken könnte als andere. In meinem Kopf ist es zum Beispiel schon immer so gewesen, dass ich zwei Familien habe. Meine Eltern haben sich getrennt, als ich fünf war, das heißt für mich hatten Mama-Familie und Papa-Familie nicht wirklich etwas miteinander zu tun. Wenn ich mit Mama-Familie zum Beispiel Essen war, wäre ich nie auf die Idee gekommen Papa-Familie einzuladen. In den letzten Jahren haben sich die Boxen ziemlich verändert. Alle sind miteinander befreundet und meine Mutter war zum Beispiel auch bei meiner Stiefmutter im Urlaub. Früher waren die zwei Familien für mich aber strikt getrennt. Für mich war das ganz normal.

Es war aber nicht nur so, dass meine Familien in verschiedenen Boxen waren, sondern meine Familie und meine Freunde waren auch so getrennt, dass ich eigentlich nicht meine Freunde zu Besuch haben wollte. Ich habe eine beste Freundin, die eher wie eine Schwester ist und sie darf ruhig mit meiner Familie zusammen sein, aber bei anderen mag ich es nicht. Ich glaube, ein Grund dafür ist, dass ich meine Position nicht mag, wenn sich Boxen vermischen. Wenn meine Freunde zum Beispiel bei mir Zuhause waren, war ich das Bindeglied zwischen meiner Familie und meinen Freunden. Das heißt, ich hatte die Verantwortung dafür, dass es für beide etwas zu reden gab. Und darin bin ich einfach nicht gut.

Man verhält sich ja auch unterschiedlich, wenn man mit unterschiedlichen Leuten zusammen ist. Woher sollte ich dann wissen, wie ich mich verhalten soll, wenn ich mit Leuten von verschiedenen Boxen zusammen bin?

Jetzt aber zu dem spannendsten Beispiel. Für mich kann eine einzelne Person auch in verschiedenen Boxen sein und dann verhalte ich mich unterschiedlich dieser Person gegenüber je nachdem, in welcher Situation wir sind. Ich habe in dem Beitrag ”Unterstützung im Studium“ erzählt, dass ich einen Mentor für mein Studium bekommen habe. Er studiert das Gleiche wie ich, ist ein Jahr älter und geht in ein höheres Semester. Zweimal die Woche haben wir außerdem ein Nachhilfecafe und da ist mein Mentor auch Nachhilfelehrer. Und das sind schon zwei komplett unterschiedliche Dinge für mich, das heißt, er ist in zwei unterschiedlichen Boxen. Mittlerweile haben wir uns aber auch angefreundet. Also ist er jetzt in drei Boxen. Dass wir uns angefreundet haben, war aber gar nicht einfach, weil ich mich anscheinend so benommen habe, als wäre er mir vollkommen egal. Ich fand ihn eigentlich von Anfang an sympathisch, aber, wenn er mein Mentor ist, ist er mir ehrlich gesagt auch irgendwie egal. Selbst wenn ich neugierig bin, stelle ich ihm in den Mentorstunden keine Fragen. Er fragt mich hin und wieder auch private Dinge, aber dann antworte ich nur und frage ihn nicht das Gleiche. In der Mentor-Box ist er für mich nur ein Mentor und nicht mehr. Wenn er Nachhilfelehrer ist, sieht das Ganze schon etwas anders aus. Da ist Small Talk mit ihm für mich auch „erlaubt“. Aber bevor wir uns angefreundet haben, habe ich ihm trotzdem nie das Gefühl gegeben, dass ich ihn mag. Immerhin war er ja nicht in der Freunde-Box. Für mich war das total logisch. Ich habe im Nachhilfecafe also hauptsächlich auch nur mit ihm über unser Studium und so geredet. Als wir dann ausgemacht haben uns außerhalb der Schule zu treffen, war ich ziemlich verwirrt. Er hat auf einmal total meine Boxen durcheinandergebracht. Und ich musste ja auch erst einmal herausfinden, wie ich mich verhalte, wenn wir Freunde sind. Ich habe ihn aber auch sehr verwirrt. Immerhin habe ich ja keinerlei Anzeichen gegeben, dass ich daran interessiert sein könnte befreundet zu sein.

Ich hätte am liebsten mein ganzes Leben strukturiert und in Boxen. Ich bin gespannt von euch zu hören, ob sich hauptsächlich Autisten damit identifizieren können oder ob Neurotypische (nicht-Autisten) sich auch in meinen Gedanken wiederfinden können.

5 Kommentare zu „Boxendenken“

  1. Mir geht es ganz genauso. Aber ich versuche absichtlich ab und an zwei Boxen nebeneinander zu stellen und die Wände dazwischen für kurze Zeiten durchlässig werden zu lassen. Das ist sehr anstrengend aber es macht mich flexibler und erleichtert mir einen etwas leichteren Umgang für “spontane Boxvermischungen”, welche von außerhalb herbeigeführt werden. Dein Beispiel finde ich sehr gut erklärend 🙂

  2. Das hab ich auch. Schwierig, wenn ich Freunde mit der WG mischen soll oder sonstiger Besuch da ist. Ich gebe mir mittlerweile Mühe, mich in allen Boxen halbwegs gleich zu verhalten, damit nicht so viel Hirnkapazität mehr dafür draufgeht zu entscheiden, welche Maske ich jetzt genau benutzen muss und damit ich in kein Verhaltensdilemma komme. Aber diese Verantwortung dafür die Situation zu managen,

    1. Hallo Luise,
      setzt du denn immer unterschiedliche Masken auf und du bist nie du selbst? Oder sind es einfach verschiedene echte Verhaltensweisen von dir?
      Liebe Grüße
      Nici

  3. Hach herrlich 😀 Seit ich deine Beiträge verfolge, finde ich mich immer und immer wieder. Ich bin nicht Asperger-diagnostiziert, aber nach allem, was ich bereits über mich gelernt habe, gehöre ich eindeutig dazu.

    Ja, die Boxen bringen mich auch oft in Bedrängnis. Es war schon früh schwierig für mich, zwischen versch. Boxen zu leben, vermischen verboten! Und erst JETZT verstehe ich es. Das Warum.

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