Ich passe doch nur auf mich auf!

Wenn man eine Diagnose hat, sagen Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter immer, dass man gut auf sich aufpassen soll. Meine Kontaktpersonen sagen das zum Beispiel auch immer, wenn ich wenig Energie oder zu viele Pläne habe. Aber wie erklärt man es der Rest der Welt, wenn man etwas nicht kann oder etwas auf eine andere Art und Weise machen muss um auf sich selbst aufzupassen? Es kommt mir oft so vor, als würde es die Gesellschaft nicht akzeptieren, wenn man etwas anders macht. Man soll am liebsten alles genau wie andere machen und so normal wie möglich sein. Wenn man etwas nicht kann oder auf seine eigene Art und Weise machen muss, kriegt man tausende von Fragen. Andere bringen einen dann oft dazu, dass man beginnt an sich selbst zu zweifeln. Vielleicht ist man nicht gut genug, stellt sich nicht genug Herausforderungen oder drängt sich nicht genug zu Dingen.

Mangelnde Energie
In den letzten Wochen habe ich wirklich viel Energie verloren. Letzte Woche konnte ich jeden Tag merken, dass der Unterricht in meinem Studium immer anstrengender für mich wurde. Ich habe für nichts Energie und ich sage alles ab, was nicht wirklich wichtig ist. Ich versuche einfach die wenige Energie, die ich gerade noch habe, zu behalten. Wenn ich von der Uni nach Hause komme, liege ich mindestens 1,5 Stunden im Bett, bevor ich überhaupt darüber nachdenken kann produktiv zu sein.

Gruppenarbeit im Studium

Das zweite Semester von meinem Studium hat erst vor ein paar Wochen angefangen. Uns wurde gesagt, dass wir erst ein kleines 6-wöchiges Projekt haben würden und dann später die erste Jahresprüfung. Ich habe mich auf jeden Fall dazu entschieden, dass ich bei der ersten Jahresprüfung beantragen möchte, dass ich alleine arbeiten darf anstatt in einer Gruppe. Das macht es einfach viel leichter für mich. Und das kleine Projekt, das wir jetzt anfangen, sollte sowieso ein Einzelprojekt sein. Das dachte ich mir, schaffe ich bestimmt. Aber jetzt wurde uns gesagt, dass wir Studiengruppen bilden müssen, in denen wir unser Projekt zusammen planen sollen. Und dafür habe ich wirklich keine Energie.

Das Gespräch mit meinem Lehrer
Ich dachte mir, dass es sicherlich eine gute Idee sein könnte mit einem meiner Lehrer darüber zu reden. Das habe ich dann auch gleich nach dem Unterricht gemacht. Ich habe ihm von meiner Diagnose und meiner mangelnden Energie erzählt. Ich habe ihm gesagt, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich genug Energie habe um in einer Gruppe zu sein. Und ich habe ihm sogar Erklärungen dafür gegeben, wieso es mir so geht und wie sich das zeigt. Ich habe mich aber kein bisschen verstanden gefühlt. Er meinte, dass die Treffen sicherlich nur eine Stunde dauern würden.

Wenn man keinerlei Energie hat, ist eine Stunde allerdings wirklich lang. Er hat auch vorgeschlagen, dass ich einfach nur mit einer Gruppe zusammensitzen könnte und nicht aktiv an dem Treffen teilnehmen müsste. Aber wie soll ich überhaupt zu einem Treffen kommen, wenn mein ganzer Körper mir sagt, dass ich im Bett liegen und mich unter einer Decke verstecken sollte? Am Anfang hat mein Lehrer auch gesagt, dass er einfach keine Ahnung hat, was er sagen soll. Die Reaktion bekomme ich oft.

Eine ähnliche Situation
Es gab eine ähnliche Situation in meinem letzten Semester. Ich habe einen unserer Lehrer darauf angesprochen, ob es nicht möglich wäre, dass ich meine Projektgruppe verlasse und alleine weiterarbeite. Mit meiner Gruppe gab es nicht wirklich viele Probleme, aber ich hatte einfach nicht genug Energie für Gruppenarbeit. Mein Lehrer meinte, dass es theoretisch schon möglich wäre, ABER…! Und dann hat er tausend Gründe aufgezählt, wieso es trotzdem eine schlechte Idee wäre. Ich kam mir so vor, als würde er mich absolut nicht ernst nehmen. Immerhin hatte ich eigentlich schon eine Entscheidung getroffen, was für mich am besten wäre.

Wunsch nach mehr Verständnis

Generell sind meine Lehrer eigentlich hilfsbereit und wollen eine Lösung finden. Aber jedes Mal, wenn ich wegen meiner Asperger Diagnose etwas auf eine andere Art und Weise machen muss, reagieren sie trotzdem nicht gut. Dass sie Fragen stellen, verstehe ich. Wünschen würde ich mir nur, dass sie sehen könnten, dass ich mir Gedanken darüber gemacht habe und dass ich eine bewusste Entscheidung getroffen habe, was für mich am besten ist. Ich sage nicht, dass ich etwas nicht kann oder anders machen muss, weil ich faul bin. Ich versuche nur, auf mich aufzupassen. Das sollte etwas sein, wofür man Anerkennung bekommt. Es ist etwas, worauf ich stolz sein kann. Aber anstatt dessen muss ich meine Entscheidungen rechtfertigen.

Ich kriege ein schlechtes Gewissen, weil es mir so vorkommt, als müsste ich mir mehr Mühe geben und mich mehr zu Dingen drängen. Mir wird das Gefühl gegeben, dass ich nicht gut genug bin und dass ich anderen ein Problem bereite. Ich würde mir wünschen, dass mich andere anstatt dessen unterstützen würden. Ich passe doch nur auf mich auf!

4 Kommentare zu „Ich passe doch nur auf mich auf!“

  1. Ja, dies kennen wir auch genauso. Wie bei dem jüngsten in der Schule, er ist krank geschrieben, da die Regelschule zuviel war. Nun geht er seit einem Jahr in die Webschule, online von zuhause aus, dies kappt viel besser und er hat endlich wieder Energie über um Dinge zu machen, die ihm Spaß machen oder um mit uns zusammen Zeit zu verbringen… . Aber das Jugend,- Schulamt haben kein Verständnis.

  2. Vielen Dank für diesen Artikel! Er hat mich sehr bewegt und trifft einen Kernpunkt für viele von uns denke ich! Alles Liebe, Anna

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