Was mir Vertrauenspersonen bedeuten

Seit ein paar Monaten gehe ich einmal die Woche in eine Autismus-Gruppe. Wir sind ziemlich viele, das heißt, es ist immer relativ laut und ein großes Durcheinander. Ich gehe gerne zu der Gruppe, aber oft fühle ich mich ein bisschen unwohl dort. Ich bin nämlich lieber mit wenigen Leuten auf einmal zusammen. Nach den ersten paar Wochen in der Gruppe habe ich mich mit einem Jungen angefreundet und seitdem hängen wir ziemlich viel aneinander. Ich unterhalte mich am meisten mit ihm, sitze oft neben ihm und wenn ich mal etwas nicht verstehe, ist er so gut wie immer derjenige, der für mich übersetzt. Mir ist nach einiger Zeit aufgefallen, dass es mir leichter fällt in der Gruppe zu sein, wenn ich weiß, dass er auch da ist. Nicht dass ihr das falsch versteht: Wir sind nur befreundet. Aber er bedeutet mir viel. Und als mir das aufgefallen ist, habe ich gemerkt, dass es mir oft so geht, dass ich eine Person habe, die mir nur durch ihr Dasein Dinge erleichtert. Wenn ich so eine Vertrauensperson dabeihabe, fühle ich mich einfach sicherer, weil ich weiß, dass ich immer zu dieser Person kommen kann, wenn irgendetwas schief läuft… Ich mag das Wort „Vertrauensperson“ eigentlich nicht. Bisher habe ich nur auf Englisch über solche Leute, die mir viel bedeuten, geredet und da habe ich sie einfach „safe person“ genannt, weil ich mich mit ihnen sicher fühle. Das passende Wort ist auf Deutsch vermutlich „Vertrauensperson“, auch wenn ich es nicht mag. Aber ihr versteht hoffentlich zumindest, was ich meine.

Ich habe schon immer Vertrauenspersonen benützt um Situationen besser zu überstehen. Ich war mit nur nie so bewusst darüber. Vor vielen Jahren musste ich zum Beispiel mal zu einem EEG und ich war total nervös. Meine beste Freundin hat deswegen extra Schule für mich geschwänzt und ist mitgegangen. Dadurch durfte ich also ein bisschen durchdrehen. Ich wusste ja, dass ich mich darauf verlassen konnte, dass sie da war.

Vertrauenspersonen müssen für mich nicht unbedingt Freunde sein, sondern es können auch zum Beispiel Kollegen, Bekannte oder meine Kontaktpersonen sein. Auf meiner Arbeit in der Küche habe ich zum Beispiel eine Kollegin, mit der ich mich sehr wohl fühle. Ich weiß, dass, wenn zum Beispiel mit einem anderen Kollegen etwas nicht gut läuft oder ein Gast nervt, ich immer zu ihr kommen kann und sie mich wieder beruhigen kann. Es ist also viel angenehmer zu arbeiten, wenn ich weiß, dass sie auch da ist. Ein anderes Mal, als mir eine Vertrauensperson viel bedeutet hat, war zum Beispiel vor ein paar Wochen. Wie ich in dem Beitrag „Update – Prüfungen, Studium, Essstörung“ schon geschrieben habe, habe ich in einer Essstörungsgruppe angefangen. Als ich das erste Mal dort hingehen sollte, war ich total nervös. Ich wusste ja nicht, wo es war, wo ich sitzen sollte und was ich sagen sollte. Zum Glück hat mich aber meine Kontaktperson vorher abgeholt und wir sind zusammen dort hin. Es war so, als ob ich ihr die Verantwortung für alles übergeben konnte. Wenn ich mir bei irgendwas unsicher war, konnte ich einfach sie fragen.

Manchmal ist es sogar so, dass ich mir bewusst eine Vertrauensperson aussuche. Als ich in einem großen Kurs vor ein paar Jahren angefangen habe und wir am Abend alle zusammen essen sollten, habe ich nur ein Mädchen gekannt. Ich hatte sie auch erst ein paar Stunden davor kennengelernt, aber sie wirkte nett. Ich tue mir ja in großen Gruppen schwer und deswegen habe ich mich gleich dazu entschieden, dass ich dieses Mädchen frage, ob wir nebeneinander sitzen können, und dann habe ich den Abend hauptsächlich mit ihr verbracht.

An sich ist es ja eine tolle Sache, wenn man Leute hat, denen man vertrauen kann und die einem in vielen Situationen helfen. Aber als ich mir darüber bewusstgeworden bin, wie oft ich Hilfe von meinen Vertrauenspersonen brauche, habe ich mich auch irgendwie schlecht gefühlt. Ich bin jemand, der unbedingt immer selbstständig sein will und das bin ich nicht. Was mich dann aber wieder beruhigt, ist, dass ich diese Vertrauenspersonen eigentlich nicht unbedingt brauche. Theoretisch weiß ich, dass ich alles auch alleine schaffen könnte, wenn ich müsste. Aber dann ist es doch auch eigentlich schön, Hilfe bekommen zu können. Was mir, glaube ich, auch hilft Unterstützung besser anzunehmen und zu akzeptieren, ist, dass ich gerade einen Behindertenausweis bewilligt bekommen habe. In Dänemark ist es so, dass der Ausweis nicht Behindertenausweis, sondern Begleitausweis heißt. Das heißt, man kriegt den Ausweis nur, wenn man behindert ist und auch eine Begleitung braucht. Und die Bewilligung für diesen Ausweis bedeutet wirklich viel für mich, weil es für mich wie eine offizielle Erlaubnis ist, dass ich Hilfe annehmen darf. Wenn ich jetzt also darüber nachdenke, dass ich zum Beispiel meine Freundin mit zu einem Arzttermin genommen habe, denke ich mir nicht mehr, dass das ja komisch ist und andere das vermutlich nicht machen, sondern ich weiß, dass offiziell anerkannt wurde, dass ich eine Begleitperson dabei haben darf.

Ich bin unglaublich neugierig, wie das bei euch so ist. Kriegt ihr auch oft Hilfe von Vertrauenspersonen? Wie findet ihr es Hilfe anzunehmen? Ich freue mich sehr auf eure Kommentare.

16 Kommentare zu „Was mir Vertrauenspersonen bedeuten“

  1. Bernd Martin Rohde

    “Nicht dass ihr das falsch versteht: Wir sind nur befreundet.”
    Und wenn es anders wäre, es wäre doch nicht falsch. Auch Autisten besitzen eine Sexualität (es sei denn diejenigen, die asexuell sind).

    1. Hallo Bernd,
      es wäre eine falsche Annahme, wenn jemand denken würde, dass ich in ihn verliebt bin. Deswegen benütze ich das Wort “falsch”. Ich denke aber in keinster Weise, dass Autisten keine Sexualität besitzen.
      Liebe Grüße,
      Nici

  2. Hallo,
    Ich bin kein diagnostizierter “Aspie”. Aber manchmal habe ich Tage, da finde ich es irgendwie leichter, wenn jemand dabei ist schon wenn ich in die Stadt gehe, besonders wenn ich vorher viel Stress hatte. Auch haben wir demnächst eine Weihnachtsfeier mit unbestimmtem Programm an unbekanntem Ort, was mich total nervös macht, aber da kann niemand mitgehen.
    VG, Tanja

    1. Hallo Tanja,
      das klingt wirklich nach einer großen Herausforderung mit der Weihnachtsfeier. Das wäre vermutlich auch nichts für mich. Ich hoffe, es läuft trotzdem gut 🙂
      Liebe Grüße
      Nici

  3. Zusatz: Deine Zeichenzahl ist sehr begrenz in den Kommentaren!
    Das Wort Vertrauensperson finde ich auch komisch, denn das sind nicht immer Personen, denen ich wirklich alles anvertrauen würde, aber mit denen ich mich besser fühle. Ich kann verstehen, wieso du “Safe person” besser findest. Ein anderes Deutsches Wort passt nicht (Vorschläge im Synonymlexikon sind nicht zufriedenstellend, finde ich)

  4. teil 1:
    ich habe einen schwerbehindertenausweis. so heißt das ja hier in deutschland. das ist aber nicht mit ner begleitperson oder betreuung gekoppelt.

  5. teil 2:
    ich bin selbst aspie und manche dinge kann ich alleine, aber eben einiges nicht. ich habe eine ambulante wohnbetreuerin für meine eigene wohnung und die hilft mir, aber sie hat manchmal andere vorstellungen von hilfe wie ich. sie kennt sich aber mit autismus aus.

    allerdings erledigt sie auch viele dinge für mich, die ich nicht kann.

  6. Ich suche mir in größeren Gruppen auch oft eine Vertrauensperson (zum Beispiel früher in einer Klasse oder einem Kurs, in einer Sportgruppe oder auf der Arbeit). Wenn diese Person nicht anwesend ist, fühle ich mich sehr unsicher und unwohl und versuche die Situation irgendwie auszuhalten oder ihr irgendwie zu entkommen.

    PS: Die Zeichenanzahl ist zu begrenzt 🙂

  7. Diese Abhängigkeit ist natürlich einerseits unangenehm, andererseits bin ich durch diese Maßnahme überhaupt erst fähig, größere Gruppen zu ertragen. Daher sehe ich es lieber positiv als eine Art sozialer “Krückstock”.

    Liebe Grüße

  8. Vertrauensperson ist eine Person, der ich unbedingt vertraue. Wenn diese auch mir hundertprozentig vertrauen kann, dann ist diese Person ein Freund. Also Nehmen und Geben. Wo ist für Dich der Unterschied zwischen Vertrauensperson und Freund? Dass Du nur nehmen willst oder bist Du auch bereit, etwas zurückzugeben?

    1. Hallo Lilo,
      eine Vertrauensperson muss nicht unbedingt ein Freund sein. Wie ich schon geschrieben habe, sind meine Kontaktpersonen auch Vertrauenspersonen für mich. Und mit denen ist es wie mit Psychologen. Da gibt es kein Geben und Nehmen, sondern man kriegt nur Hilfe von ihnen und muss nichts zurückgeben….

    2. … es ist auch generell nicht so, dass ich nichts geben will. Ich bin ein sehr hilfsbereiter Mensch und helfe meinen Freunden bei so viel, wie ich nur kann.
      Liebe Grüße
      Nici

  9. Wie wäre es mit “Ankerperson”?
    Das wäre für mich jemand, der mir hilft, mich im sozialen Gefüge besser einzubinden. Dabei muss er oder sie keine enge Vertraute oder gar Freund/in sein. Einfach eine Person, an der ich mich orientieren kann, um mich
    nicht völlig ausgeschlossen zu fühlen.

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