Gastbeitrag: Der Weg zur Diagnose

Hallo, ich bin Mona Mutz*, 38 Jahre alt, Mama von einem wundervollen Sohn. Er ist heute 7 Jahre alt, fantasievoll, lustig, unglaublich schlau und ASPERGER Autist und das geht nicht wieder weg!

Die ersten Jahre
Rückblickend kann ich heute sagen, dass schon als Baby klar war, das unser Sohn das Asperger-Syndrom hat. Doch am Anfang kann man all die Zeichen nicht richtig deuten. Unsere Kinderpsychologin hat mir mal erklärt, dass es „easy child“ und „difficult child“ gibt und jetzt ratet, in welche Kategorie unser Sohn fällt ;o)? Ich habe immer die Mütter beneidet, deren Babys glucksend wach wurden und noch 15 Minuten in der Weltgeschichte rumschauten. Wenn unser Sohn wach wurde, hatte er Hunger und schrie sofort und bis das Problem des Hungers gelöst wurde. Er hatte viele Schlafphasen und nur kurze Wachphasen. Er beschäftigte sich keine Minute alleine selbst. Ich richtete mich komplett nach ihm, denn zu sehr stresste mich das schrille Schreien. Es lief einfach harmonischer, wenn es nach seinen Wünschen ging. Ich war das erste Jahr ziemlich isoliert. Ich weiß heute, dass es damals schon erste Anzeichen waren. Und wer mir jetzt sagen möchte, ich hätte mehr auf mich achten sollen, nicht zu sehr auf das Kind, der kann sich unseren Sohn gerne mal ausleihen.

Herausforderungen mit der Geduld
Es ist kein Erziehungsproblem. Es ist heute noch so, dass Geduld nicht seine Stärke ist. Wenn er reden will, redet er egal, ob man sagt, warte ab. Wenn man helfen soll, dann sofort. Wenn es ein Problem bei den Hausaufgaben gibt, ok klären wir es sofort, auch wenn ich gerade auf dem Klo sitze. Wenn er einen Impuls hat, geht er ihm nach, solange bis er für ihn gelöst ist. Das kann manchmal sehr anstrengend sein. Aber zurück zu den Anfängen.

Auswertungsbogen der Kita
Als unser Sohn mit anderthalb Jahren einen Kitaplatz bekam, wo wir auf der Warteliste standen, waren wir sehr froh und wir wechselten von seiner Tagesmutti (wo er mit deren Kind allein war) zur Kita in eine Gruppe mit knapp 20 Kindern.

Er konnte zu dem Zeitpunkt die üblichen 2 Wort Sätze, konnte alles verstehen. Aber in der Kita redete er ein halbes Jahr nicht mit den Erzieherinnen. Er fragte nicht um Hilfe, wenn er sie benötigte. Er sagte nicht, wenn er sich verletzt hatte und es bekam auch keiner mit, weil er nicht weinte. Er ignorierte die Ansagen der Erzieherinnen. Das Elterngespräch, welches wir dann nach einem halben Jahr mit der Erzieherin hatten ist mir bis heute mit einem bitteren Beigeschmack in Erinnerung geblieben. Wir bekamen einen Auswertungsbogen zu sehen, wo uns vorgehalten wurde, was unser Sohn alles nicht kann. Er redet nicht, 0 von 10 Punkten. Er versteht viele Anweisungen nicht, 2 von 10 Punkten. Er kann nicht gut ein Türmchen bauen, 2 von 10 Punkten. Und so ging es stetig weiter. Davon mal abgesehen, dass ich von dieser Bewertung eines 2-jährigen Kindes wirklich geschockt war, war ich von der Bewertung auch irritiert. Nein, Zuhause redet er, ganz normal 2 Wortsätze halt. Doch, Zuhause baut er Türmchen ohne Probleme. Doch er versteht eigentlich alles, ich gehe eher davon aus, dass er auf Zuruf halt leider kein Türmchen baut und dass er manche Anweisungen einfach ignoriert und sich einfach nicht daranhält. Unsere Wahrnehmungen lagen meilenweit auseinander. Das schlimme aber daran war, dass uns das Gefühl vermittelt wurde, wir würden alles beschönigen und nicht die Wahrheit sagen. Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Letztendlich meinte man indirekt, unser Kind besser zu kennen, als wir.

Bedenken wegen des Schulstarts
Uns wurde nahegelegt, ihn von einer Psychologin betrachten zu lassen, es könnte auch eine in die Kita kommen. Sonst besteht die Gefahr, dass er nicht normal in die Schule kommt? Bitte was? Wie kann man sowas Eltern eines 2-jährigen Kindes sagen? Wie anmaßend ist es, einem Kind von 2 Jahren schon einen schlechten Schulstart voraus zu sagen? Ab diesem Zeitpunkt waren die Kita und insbesondere diese Erzieherin bei uns unten durch und das hat sich bis zu Verlassen der Einrichtung nicht geändert. Wir stimmten zu, unseren Sohn von einer Psychologin in der Kita betrachten zu lassen.

Feedback der Psychologin
Mein Mann hatte damals dann das Auswertungsgespräch, was ein absolutes Glück für diese Person war, denn ich wäre glaube ich aus der Haut gefahren. Wie sich die Person verhalten hat und was sie von sich gegeben hat, sprengt den Rahmen dies hier nieder zu schreiben. Nur so viel, sie behandelte meinen Mann wie ein kleines Kind. Sie sagte, es wäre zwar nichts Schlimmes, nichts was man nicht beheben könne, aber sie riet uns dringend zu einer Therapie. Die wäre zwar teuer, aber wird ja vom Land Bayern bezahlt. Wir waren wie vor den Kopf gestoßen. Und irgendwie war es auch ein Widerspruch in sich von „nichts Schlimmes“ zu „dringend therapieren“?

Therapie – ja oder nein?
Die Kita drängte uns dazu, doch diese Chance zu nutzen. Wir waren wirklich abgeneigt und fühlten uns missverstanden, aber die Aussage „Sie haben doch nichts zu verlieren und es schadet doch nicht“ hatte uns fast an die Wand genagelt, dem Ganzen zuzustimmen. Wir hatten Glück, das letztendlich unsere wirklich großartige Kinderärztin dem Ganzen ein Riegel vorschob, denn sie musste den Bogen letztendlich unterschreiben und riet uns ab. Viel zu früh, war ihr Kommentar.
Gott sei Dank. Ich bin froh, dass es damals so gekommen ist. Denn letztendlich bewegten sich alle im falschen Terrain, schätzten unseren Sohn völlig falsch ein und nahmen uns nicht ernst.

Immer mehr Auffälligkeiten
Je größer unser Sohn wurde, desto mehr Auffälligkeiten kamen hinzu. Er redete nicht mit jedem, er grüßte nicht, auch Personen nicht, die er kannte. Er teilte bis zum Ende der Windelzeit nicht mit, wenn die Windel voll war, lieber stand er im Garten der Kita wie versteinert eine Stunde in der Ecke. Er weinte nicht, bei Verletzungen. Ich holte ihn mit Bisswunden und Riesenbeulen aus der Kita ab, aber keiner hatte etwas mitbekommen. Dafür verursachten kleine Kratzer manchmal hysterisches Weinen. Alle Versuche auch die Kita mehr für unser Kind zu sensibilisieren scheiterten.

Spezialinteressen?
Mit 4 fing er dann an zu rechnen, dass war das erste Mal, das er etwas wirklich ausgiebig betrieb. Zahlen, früh, mittags, abends… es nervte, aber man war auch stolz, was er mit seinen 4 Jahren schon rechnen konnte. Nach den Zahlen kam eine neue Phase. Ich musste Blätter zu kleinen Heften tackern und er malte Bilder auf jede Seite und diktierte uns dann Geschichten dazu. Am Anfang war es noch lustig, aber er betrieb das Ganze immer ausschweifender. So stand er zum Schluss schon früh bei uns am Bett mit seinem Heft um uns was zu diktieren. Wir hatten die Augen noch zu, aber schon einen Stift in der Hand. Ich glaube manchmal malte und diktierte er 4 Stunden am Tag. Er hatte ständig komplett schwarz/bunte Finger von den Stiften. Wir waren nur noch genervt davon.

Noch mehr Probleme in der Kita
In der Kita hatte er dann mit 5 Jahren die Möglichkeit an einem Deutschvorkurs teilzunehmen. Dort war er auch sehr auffällig, seine Lehrerin empfand ihn als Störenfried. Er hielt sich nicht an die Regeln, sprach ohne sich zu melden. Grüßte nicht oder antwortete nicht immer, wenn er sollte. Machte nicht mit, oder nur so wie er wollte. Wenn es hieß, schneide aus, malte er stattdessen an…

Verdacht auf Asperger und Hochbegabung
Ich machte mir immer mehr Gedanken. Als wir dann wieder das Entwicklungsgespräch mit seinen aktuellen Erzieherinnen hatten, fielen einfach so viele Stichworte und ich erfuhr auch noch mehr zu seinem Verhalten in der Gruppe, da platzte es einfach so aus mir raus: „Ich weiß auch nicht, manchmal habe ich das Gefühl, er ist irgendwas zwischen autistisch und hochbegabt.“ Das war Ende Januar 2015. Mein Mann war ein bisschen von meiner Aussage überrumpelt. Die Erzieherinnen rieten uns dem Ganzen nachzugehen. Als ich mit einer Freundin darüber sprach, googelte sie ein halbes Wochenende lang und druckte mir etwas über ASPERGER aus. Ich las es und es traf mich der Schlag, das war es. Es beschrieb zu großen Teilen unser Kind… und meinen MANN.

Überweisung zur Kinderpsychologin
Ich machte einen Termin bei der Kinderärztin unseres Sohnes. Unter 4 Augen sagte ich ihr erst meine Vermutung, bevor sie dann mit unserem Sohn sprach. Sie sagte, ich könnte Recht haben und gab mir eine Überweisung zur Kinderpsychologin. Ich kam auf die Warteliste und nach 3 Monaten hatten wir den ersten Termin. Unser Sohn ließ mich vor der Kinderpsychologin förmlich auflaufen, stellte mich bloß, zeigt sich von seiner „besten“ Seite. Bei dem Intelligenztest war er gelangweilt und teilte mitten drin mit, er habe jetzt keine Lust mehr, er möchte gehen. Ich schwitzte Blut und Wasser.

Spezialisten am Josefinum
Alles in allem kam beim Intelligenztest trotz schlechter Beteiligung heraus, dass er weit über dem Durchschnitt liegt, insbesondere im Bereich Logik. Die Diagnose für Asperger konnte sie jedoch nicht eindeutig stellen. Sie riet uns zu den Spezialisten nach Augsburg ans Josefinum zu gehen, Wartezeit ein halbes Jahr. Dort hatten wir dann ab Herbst 2016 mehrere Termine mit verschiedenen Tests, zum Teil zusammen, zum Teil getrennt. Ich musste unzählige Fragebögen ausfüllen und von anderen Personen (wie Erzieherinnen) ausfüllen lassen. Im Februar 2017 war es dann endlich soweit, zu dem Zeitpunkt war unser Sohn 6 Jahre alt. Eindeutig Asperger Autist, daran gab es nichts mehr zu rütteln. Die Diagnose haben wir schwarz auf weiß.

Verschiedene Reaktionen
Dafür, dass ich damals als ich das erste Mal von Asperger hörte, sofort so sicher war, dass mein Sohn dieses Syndrom hat, war ich trotzdem überrascht. Es war eine Mischung aus Überraschung, Erleichterung und Traurigkeit. Warum überrascht? In dem Jahr der Diagnosestellung habe ich mit so vielen Leuten darüber gesprochen, die mich immer mehr verunsicherten und zum Schluss war ich gar nicht mehr sicher, ob ich mir nur was einbilde oder nicht. Mit Aussagen wie, ach meiner grüßt auch nicht oder ach meiner ist auch beim Essen mäklig und was weiß noch alles kamen immer mehr Zweifel auf. Ich sah die Unterschiede, aber mich verunsicherte das. Ja jeder von uns hat solche „Meisen“, aber bei einem Asperger treten sie nicht einzeln auf, sondern es ist mehr eine Sammlung von Special Effects. Es ist einfach die Gesamtheit, die sich unterscheidet. Und da es einfach keine sichtbare Sache wie ein fehlender Arm ist, ist es einfach für Außenstehende schwierig das zu beurteilen. Wenn man unseren Sohn nicht wirklich gut kennt, wundert man sich ggf. nur über ein paar Sachen und für Außenstehende ist dieses Syndrom schlichtweg einfach unsichtbar. Denn unser Sohn ist nicht so weit im Spektrum drin, dass es offensichtlich wäre und auf der Hand liegt. Uns wurde bei der Diagnose auch gesagt, dass ihm sein hoher Intelligenzquotient dabei hilft, viele Sachen auszugleichen bzw. sich abzuschauen und umzusetzen. Er geht ganz normal in eine Grundschule, hat einen besten Freund und noch zwei, drei weitere Freunde. Ich bin froh, dass ich diese Diagnose vor der Schuleinführung hatte und ihn somit bestmöglich unterstützen konnte und mich für ihn einsetzen kann.

Was mir geholfen hat
Auch heute noch mischen sich immer wieder mal die Gefühle von Zweifel oder Traurigkeit ein, aber zum Großteil überwiegt die Erleichterung darüber, endlich Gewissheit zu haben. Bisher habe ich meinem Sohn noch nichts von seiner Diagnose gesagt, es fühlt sich noch nicht richtig an, aber der Zeitpunkt wird kommen. Was mir während der ganzen Zeit der Diagnose eigentlich am meisten geholfen hat, war der Austausch mit anderen Betroffenen bzw. auch das Lesen von Beiträgen in Gruppen, Büchern und so weiter. Mehr als jedes Fachbuch. Man lernt dabei auch, wie unterschiedlich das Asperger-Syndrom ist und in welch unglaublicher Vielzahl an Facetten es auftreten kann und es hilft dabei, die Diagnose anzunehmen, zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen und all die Zweifler immer besser zu überhören.

*Mona Mutz ist mein Pseudonym, unter dem ich über unseren Alltag mit dem Asperger-Syndrom schreibe. Denn ich weiß heute nicht, wie offen später mein Sohn mit dem Syndrom umgehen möchte. Das heißt aber nicht, dass ich es generell verschweige. In unserem Umfeld rede ich offen darüber. Ich empfinde es nicht als Krankheit, aber es beeinflusst viele Dinge in unserem Leben.
http://www.asperger-kinder.de/was_ist_asperger.htm
Die Infos unter diesem Link habe ich damals als allererste Information von meiner Freundin zum Asperger-Syndrom erhalten und gelesen. Danach war ich mir zu 99% sicher, dass unser Sohn Asperger Autist ist.

1 Kommentar zu „Gastbeitrag: Der Weg zur Diagnose“

  1. Silke Nühsmann

    Ich habe Tränen in den Augen…
    Der Beitrag spiegelt zu 90% meinen Sohn (mittlerweile 8) wieder.
    Mein Sohn ging und geht seit Babyalter, durch die Hölle. Er war schon immer anders als die anderen Kinder.
    Er hat ADHS diagnostiziert und wurde auf Autismus negativ getestet.
    Das Problem ist wie in dem Bericht.
    Schauspielern und anpassen.

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