Essstörung und Selbstverletzung

Vor kurzem habe ich gehört, dass 20% aller Essgestörter Autisten sind. Ich bin eine davon. Meine Essstörung hat angefangen, als ich 17 war. Aber das ist nicht das Einzige. Seit ich 15 bin, habe ich auch Probleme mit Selbstverletzung. Ich habe mich dazu entschieden über die beiden Dinge zusammen zu schreiben, weil ich denke, dass es so ungefähr das gleiche ist. Es sind beides Strategien, die ich benütze, um mit Dingen umzugehen, die mir sonst zu viel wären. Es sind zwar zwei verschiedene Handlungen, aber der Grund, wieso ich sie brauche bzw. gebraucht habe, ist der gleiche.

Die ganzen Jahre war es immer ein großes Auf und Ab mit beidem, der Essstörung und der Selbstverletzung. Ich habe angefangen mich selbst zu verletzen, weil ich mich die ganze Zeit schlecht gefühlt habe. Ich war immer traurig und wusste nicht wieso. Weil ich einfach nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte, habe ich mich selbst verletzt. Ich habe keine Ahnung, wie ich überhaupt darauf gekommen bin. Aber es hat einfach geholfen um an etwas Anderes denken zu können und meine Gefühle zu vergessen.

Die Essstörung hat dann zwei Jahre später angefangen, weil ich mich von Psychologen und Ärzten vollkommen unverstanden gefühlt habe. Ich wusste, dass ich ein Problem hatte, weil ich so unglücklich war, aber es kam mir so vor, als hätte das niemand verstanden. Ich dachte mir dann, dass man es verstehen würde, wenn man es sehen könnte. Deswegen wollte ich abnehmen. Nach kurzer Zeit habe ich dann aber die Kontrolle verloren. Es hat mich einfach so glücklich gemacht, wenn ich abgenommen habe. Das wollte ich nicht mehr aufgeben. Es gab aber trotzdem immer wieder Wochen oder Monate, in denen ich relativ normal gegessen habe, hauptsächlich weil ich vor allem Kuchen und Schokolade immer noch geliebt habe. Aber sobald mir meine Gefühle zu viel geworden sind, habe ich wieder aufgehört zu essen oder ich habe mich eben selbst verletzt.

Seitdem ich die Asperger Diagnose bekommen habe, macht es viel mehr Sinn für mich, wieso ich mich oft überhaupt so überfordert mit meinen Gefühlen fühle. Ich habe zum Beispiel immer aufgehört zu essen, wenn sich etwas Großes in meinem Leben verändert hat. Zum Beispiel, als ich nach Dänemark umgezogen bin. Heute weiß ich, dass Asperger der Grund ist, dass ich einfach nicht so gut mit Veränderungen umgehen kann. Jetzt kann ich damit arbeiten.

Mittlerweile geht es mir besser, aber ich weiß nicht, ob ich sagen würde, dass ich ganz gesund bin. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass die Gedanken noch lange bleiben. Jedes Mal, wenn es mir schlecht geht, denke ich mir immer noch, dass ich die Möglichkeit hätte mich selbst zu verletzen oder aufzuhören zu essen.

Ihr fragt euch jetzt bestimmt, wie ich es geschafft habe, dass ich die Gedanken jetzt besser ignorieren kann. Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht ganz. Aber was mir auf jeden Fall geholfen hat, war die Asperger Diagnose bekommen zu haben. Wenn ich zum Beispiel zu viel an einem Tag unternehme und es mir dann am Abend schlecht geht, weiß ich, wieso es so ist. Und ich weiß, dass es mir wieder bessergeht, wenn ich mich genug ausruhe. Diese Gewissheit und eine Erklärung für meine Gefühle zu haben, hilft mir extrem.

Was ich persönlich anderen Betroffenen raten würde, ist eine Absprache mit jemandem zu haben, dem man vertraut und der einem helfen kann. Ich habe selbst zum Beispiel eine Kontaktperson, der ich wirklich total vertraue. Ich habe mit ihr vor ein paar Monaten ausgemacht, dass ich regelmäßig drei Mal am Tag essen soll. Sie hat gesagt, dass es mir helfen wird und dass das der Weg raus aus der Essstörung ist und dass wir es schaffen können an allem anderen zu arbeiten. Es kam mir so vor, als hätte sie einen Plan und ich habe ihr vertraut. Seit dem Tag, an dem wir ausgemacht haben, dass ich jeden Tag drei Mal am Tag esse, habe ich es gemacht. Ich habe ihr vertraut und gegessen. Seit ungefähr vier Monaten habe ich keine Mahlzeit übersprungen. Natürlich läuft es deswegen nicht immer perfekt, aber ich weiß auch, dass ich immer mit meiner Kontaktperson reden kann, wenn es mal nicht gut läuft. Deswegen werde ich nicht mehr so verzweifelt und kann es aushalten.

Es gibt noch etwas Anderes, was mir ein bisschen hilft. Am Anfang fand ich es ziemlich doof und dachte nicht, dass es helfen könnte, aber ich wurde überrascht. Es macht es tatsächlich einfacher. Ich habe mit meiner Kontaktperson Pläne dafür gemacht, was ich machen kann, wenn es mir schlecht geht. Es ist etwas total Simples, aber es hilft einfach, weil man auf einmal einen anderen Ausweg sieht.

Falls du selbst jemals darüber nachdenkst aufzuhören zu essen oder dich selbst zu verletzen, lass es sein. Ich weiß, ich habe selbst gesagt, dass es mir geholfen hat, aber es ist einfach nur für eine kurze Zeit und danach musst du umso mehr kämpfen, damit du da wieder rauskommst. Und falls du schon solche Probleme haben solltest, denk dran, dass es einen Ausweg gibt!

7 Kommentare zu „Essstörung und Selbstverletzung“

  1. Hallo Nici,

    Ich mache mir große Sorgen um andere Mädchen und Frauen bzgl Essstörungen und SVV. Ich wünsche mir, dass du es irgendwann ganz schaffst. Aber ich bin froh zu lesen, dass es dir Dank der Asperger-Diagnose nun besser geht. Vielen Autisten ergeht es so, ob es sich nun psychische oder physische Erkrankungen handelt. Gerne kannst du mir auch per E-Mail antworten.

    LG
    Katharina

  2. Nb.: Häufig lindern sich die Beschwerden, wenn die betroffenen von ihrem AS erfahren und endlich zu sich selbst finden können. Aus Selbstbewusstseins (wörtlich genommen) erwächst Selbstbewusstseins (RW). Sry, besser kann ich es gerade nicht ausdrücken 😕 . Deshalb wäre es um so wichtiger, dass Autistinnen endlich früher erkannt werden, damit ihnen solche unliebsamen Erfahrungen erspart bleiben.

    1. Hi Katharina,
      Da hast du vollkommen recht. Es würde wirklich viel helfen, wenn Asperger früher erkannt werden würde.
      Liebe Grüße,
      Nici

  3. Hallo Nici, seit einem Jahr leidet meine Tochter (17) unter Depressionen, svv und seit ein paar Wochen auch an einer essstörung. Obwohl ich von Anfang an einen Autismusverdacht geäußert habe, sogar drauf hingewiesen habe, dass Frauen und Mädchen ja oft nicht diagnostiziert werden oder gar eine Borderline Diagnose bekommen, wurde dem nicht nachgegangen. Wo wurdest du diagnostiziert? LG Lia

  4. Hallo Nici, mit viel Interesse habe ich deine Artikel gelesen. Seit langer Zeit bin ich auf der Suche nach einer Erklärung, warum meine Tochter “anders tickt”. Sie ist jetzt 12 und bisher konnte ich niemanden finden, der mich ernst nimmt, wenn ich die Vermutung äußere, dass sie anders ist. Ich merke es aber und versuche seit jeher ihr im Alltag zu helfen und sie zu unterstützen. In deinen Artikeln konnte ich viel von ihr wiederfinden und sehe sie nun nochmal mit anderen Augen. Außerdem gibt es mir Kraft, weiter für sie zu kämpfen, denn anscheinend habe ich instinktiv viel richtig gemacht, so dass sie insgesamt meist ausgeglichen sein kann und keine destruktiven Strukturen entwickeln musste. Für mich ist das allerdings auch nicht leicht, denn oft treffe ich auf Unverständnis, wenn ich versuche, für eine 12jährige einen möglicht “einfachen” Alltag zu organisieren. Sie hat zwei gute Freundinnen, doch leider schafft sie es nicht, zu vermitteln, dass sie manchmal einfach nichts gemeinsam machen kann. Da gab es zu Anfang oft Missverständnisse, jetzt vermittel ich in solchen Situationen und es klappt. Auch in der Schule stoße ich mit dem Werben um Verständnis und dem Erklären der Andersartigkeit zum Glück bisher immer auf Verständnis bei den Klassenlehrerinnen, doch vor jedem Lehrerwechsel habe ich Angst. Denn ohne eine Diagnose binbich eben nur die Mutter, die ihre Tochter anscheinend in Watte packt und ihr nicht zutraut, alleine zurecht zu kommen. Deshalb ist die Tochter so unselbständig. Deine Artikel machen mir Mut, auf dem richtigen Weg zu sein, entgegen aller Aussagen, dass ich meine Tochter eifach nur oft genug in neue Situationen schubsen muss, damit sie endlich aus sich herauskommt. Welches normale 12jährige Mädchen traut sich nicht, beim Bäcker um die Ecke Brötchen zu holen…..da muss die Mutter doch viel falsch gemacht haben….Für Tipps, wie ich meiner Tochter noch helfen kann, wäre ich dir sehr dankbar (gerne per Mail) und auch, wie du es geschafft hast, eine Diagnose zu bekommen, denn das wünsche ich mir für meine Tochter auch. Die meisten Menschen brauchen es schwarz auf weiß, um ein Problem wirklich zu akzeptieren und dann zu handeln. Viele Grüße Anja

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