Interview mit Ellas Blog

Da es auf meinem Blog hauptsächlich nur um das Asperger-Syndrom geht, dachte ich mir, es könnte interessant sein auch mal etwas über frühkindlichen Autismus zu schreiben. Deswegen habe ich Silke von Ellas Blog ( http://ellasblog.de ) interviewt.

Du schreibst auf deinem Blog über das Leben mit einem autistischen Sohn. Wie kann man sich euren Alltag vorstellen?

Liebe Nici, danke erstmal für Dein Interesse. Ich freue mich immer sehr, wenn sich AutistInnen, bei denen sich der Autismus anders im Leben auswirkt als bei meinem Sohn, für Niklas interessieren.
In unserem Alltag dreht sich eigentlich alles um Niklas, wenn er zuhause ist. Er muss rund um die Uhr beaufsichtigt und betreut werden, weil er Hilfe bei fast allen lebenspraktischen Aufgaben braucht und wegen Weglauftendenz und Selbstgefährdung immer unter Obhut sein muss.
Wenn gerade keine Ferien sind, geht er in die Schule und ist von kurz nach sieben bis um halb vier unterwegs. In dieser Zeit arbeite ich. Wenn Niklas zuhause ist, bin ich nur für ihn da, ab und zu haben wir auch mal einen Betreuer engagiert, der mit ihm etwas unternimmt. Abends ist dann auch Niklas´ Papa von der Arbeit zurück. Seine Schwester ist vier Jahre älter und studiert in einer anderen Stadt.
Hobbies hat Niklas nicht, es gibt keine bestimmte Beschäftigung, der er besonders gerne nachgeht. Kein Computer, keine Bücher, keine Spiele – es sind die Materialien und Geräusche, die ihn faszinieren und auch oft abschrecken. Alles, was sich dreht, ist toll für ihn. So wandeln wir durch den Tag und beschäftigen uns gemeinsam mit dem, was uns begegnet.
Die Nächte sind sehr unterschiedlich. Niklas schläft nicht zuverlässig durch und so sind sie auch immer mal wieder um drei Uhr zu Ende, weil wir mit ihm aufstehen müssen, wenn er aufsteht. Nach nun fast 18 Jahren ist das ganz schön anstrengend.
Das ist das, was mir spontan einfällt. Natürlich ist das noch viel mehr, ich habe schließlich ein ganzes Buch darüber geschrieben 🙂

Dein Sohn redet nicht, oder? Kann er trotzdem alles verstehen, was du sagst? (Um ehrlich zu sein habe ich keinerlei Erfahrung mit Autisten, die nicht reden, und weiß nichts darüber. Ich hoffe, ich stelle also keine dummen Fragen. Ich bin nur neugierig.) Wie kommuniziert ihr miteinander?

Das ist keine dumme Frage. Viele Leute sind irritiert, dass Niklas zwar gebärdet, aber dennoch alles versteht. Er benutzt die Gebärdensprache, um sich selbst mitzuteilen, braucht sie aber nicht, um andere Menschen zu verstehen. Das ist ein großes Stück Lebensqualität für ihn und damit auch für uns alle, weil er seine Bedürfnisse, Ängste, Sorgen, Freuden und Wünsche darüber immer besser mitteilen kann. Damit ist die Gefahr für Missverständnisse und Frust oder Dinge, die wir übersehen, viel geringer.
Den Weg mit der Gebärdensprache hat er selbst gewählt. Im Kindergarten fing er irgendwann an, sich Zeichen auszudenken. Als das immer mehr wurden und wir begriffen, dass das sein Weg zu kommunizieren ist, haben wir es in allgemeingültige Bahnen gelenkt und die Deutsche Gebärdensprache (DGS) gelernt. So ist es keine Geheimsprache, sondern er wird von all denen gut verstanden, die die DGS auch können. Die DGS beinhaltet normalerweise komplette Grammatik und ist eine vollständige Sprache – so perfekt nutzt Niklas sie (noch) nicht, sondern er gebärdet Schlüsselwort an Schlüsselwort aneinander.

Niklas kann auch lesen und schreiben und wenn er mit der Gebärdensprache doch mal an Grenzen kommt, schreibt er etwas auf, indem er mit dem Finger auf einer Buchstabentafel oder dem Computer die Worte tippt. Das ist aber viel anstrengender für ihn und daher benutzt er es zuhause nur, wenn es gar nicht mehr anders geht und ihm etwas sehr wichtig ist.

Was sind die größten Unterschiede zwischen eurem Familienleben und dem einer nicht-autistischen Familie?

Wie ich schon beschrieben hatte, beschäftigt er sich überhaupt nicht selbst, so dass immer sein Papa oder ich zuhause bei ihm sein müssen. Als seine Schwester noch kleiner war, bedeutete das auch für sie viel Rücksichtnahme.
Eingeschränkt sind wir dadurch in unseren Freiheiten zuhause, vor allem am Wochenende und in den Ferien bleibt kaum Zeit für eigene Belange, da wir mit Niklas sehr eingespannt sind. Einfach mal ein Buch lesen oder sich auf die Terrasse setzen, geht nicht. Auch gemeinsame Mahlzeiten sind wegen der Geräuschbelastung für uns kaum möglich.
Niklas hat keine Freunde. Er hat zwar seine Schulfreunde, die wohnen allerdings weit entfernt und sind daher am Nachmittag nicht erreichbar. Sonst vor Ort ist niemand, mit dem er sich treffen könnte. Es wäre dabei auch immer notwendig, dass eine Aufsichtsperson zusätzlich anwesend ist.
Ausflüge sind auch nur schwer möglich. Aufgrund von Niklas hoher Geräuschempfindlichkeit ist es manchmal wochenlang nicht möglich, das Haus zu verlassen. Da beschränken sich die Ausflüge nach draußen von der Haustür zum Schulbus und wieder zurück. In guten Zeiten ist er auch gerne mal draußen, aber meistens nicht lange, weil v.a. Vogelgezwitscher, Flugzeuge, Kindergeschrei und Kirchenglocken ihm immer sehr zusetzen. Vor allem das Unberechenbare im Freien ist schlimm für ihn.
Was ich beschreibe, wirkt sich auf alle Alltagsbereiche aus wie Familienfeiern, Urlaube, Ausflüge usw.

Habt ihr jemals bestimmte Hilfsangebote angenommen und welche kannst du anderen Familien weiterempfehlen?

Ja, Niklas hat Pflegegrad 5. Wenn man einen Pflegegrad hat, hat man Anspruch auf Verhinderungspflege und Ersatzleistungen. Beides nutzen wir, so dass Niklas stundenweise z.B. am Wochenende auch mal von anderen betreut wird. Schwierig ist es, für so eine Aufgabe jemanden zu finden. Viele kennen sich mit Autismus nicht aus und wissen nicht, auf welche Aufgabe sie sich einlassen und kündigen dann schnell wieder, wenn sie überfordert sind. Das ist immer sehr schwierig für Niklas und auch für uns, weil es immer einen Vertrauensvorschuss bedeutet und wir Einblick in unser Privates gewähren. So gab es da einige negative Erfahrungen. Aber – und das ist viel wichtiger – wir haben auch viele tolle Menschen kennengelernt, die Niklas ins Herz geschlossen haben und gelernt haben, mit ihm umzugehen. Ich bin immer sehr dankbar dafür, wenn es auf diese Weise gelingt.

Ich kenne einige Familien, die auch Kurzzeitpflege in Anspruch nehmen und ihre Kinder wochenweise außer Haus betreuen lassen. Das haben wir noch nicht gemacht, weil es für Niklas traumatisch wäre, in eine fremde Umgebung mit fremden Menschen zu kommen, die dann seine Sprache nicht verstehen. Wir wollen solche Aufenthalte aber auch anbahnen, allerdings mit Menschen, die ihm bereits vertraut sind.

Hast du Tipps für Eltern, deren Kinder gerade erst diagnostiziert wurden?

Ganz wichtig ist, sich umfassend zu informieren. Bei Fachleuten, anderen Autisten und Eltern. Jeder hat ein bestimmtes Know-how beizutragen, das wichtig ist, um mit seinem Kind angemessen umzugehen, es verstehen zu lernen und ihm wirklich helfen zu können.
Grundsätzlich sollten Eltern sich nicht einreden lassen, dass sie keine Ahnung hätten. Da passiert leider immer wieder. Es gibt vielfältige Therapieansätze und Vorschläge für Medikationen, die zum Teil gut sind und ihre Berechtigung haben, zum Teil aber auch nicht angemessen sind. Um dies beurteilen zu können, brauchen Eltern viel Wissen und eine gute Vernetzung mit anderen Eltern und Erfahrungswerte von Autisten, die sich mitteilen können. Ich selbst habe am meisten von anderen Autisten gelernt, die mir vermitteln konnten, wie mein Sohn wahrnimmt. Der Fokus verändert sich dadurch, man muss lernen, aus einer ganz anderen Perspektive zu denken und mit der  Zeit nimmt man dann selbst auch anders wahr – damit meine ich nicht, dass man selbst autistisch wird (das geht auch gar nicht), sondern dass man lernt, auf autistische Belange ganz besonders zu achten.

Wenn man mit Leuten über Autismus redet, wird man häufig auch mit vielen Vorurteilen konfrontiert. Welche Reaktion würdest du dir erhoffen bei dem Thema Autismus?

Ich würde mir wünschen, dass Leute nicht alles nachplappern und glauben, was sie irgendwo mal gehört, gelesen oder in einem Film gesehen haben. Es ist normal, dass man sich nicht mit jedem Thema auskennt und wenn man noch nie mit Autisten zu tun hatte, dann würde ich mir wünschen, dass man das einfach auch sagt: „Mit dem Thema Autismus kenne ich mich gar nicht aus, magst Du mir erzählen, was in Deinem/Eurem Leben anders ist?“
Fragen stellen ist immer besser, als Floskeln und Klischees zu wiederholen. Wichtig ist, dass die Leute begreifen, dass es ein Spektrum ist und jeder Autist anders ist. Für sehr wichtig halte ich klarzustellen, dass auch nicht-sprechende Autisten durchaus alles verstehen können, denn oftmals wird über ihren Kopf hinweg gesprochen, als seien sie nicht anwesend und das ist sehr respektlos.
Schrecklich finde ich auch das Vorurteil, dass Autisten keine Gefühle hätten – damit sollte man möglichst zügig aufräumen und erklären, warum es im Sozialen und Kommunikativen oft so schwierig ist und dass es darum manchmal den Anschein hat, als würden Autisten nicht nachempfinden können.

Wie kam es dazu, dass du angefangen hast einen Blog zu schreiben?

Ich war anfangs wie viele andere Eltern auf der Suche nach Informationen und Erfahrungswerten. Ich fand viel zum Thema Autismus, aber sehr wenig zum frühkindlichen Autismus. Trotz einiger Überschneidungen, waren unsere Probleme z.T. ganz anders gelagert als bei Asperger- oder hochfunktionalen Autisten, ich vermisste es, von Eltern zu hören, die ein ähnliches Kind haben wie ich und so begann ich eben selbst zu schreiben. Anfangs waren es ausschließlich persönliche Erfahrungsberichte, inzwischen ist „Ellas Blog“ zu einem Online-Magazin geworden, in dem ich auch Gastbeiträge und Interviews veröffentliche. Damit möchte ich möglichst vielen Facetten des Spektrums gerecht werden, möglichst vielen Eltern, AutistInnen und Fachleuten eine Stimme geben. Das Thema „Autistinnen und Autisten mit sehr hohem Betreuungs- und Pflegebedarf“ liegt mir aber bei aller Vielfalt immer noch sehr am Herzen und so wird es auch immer wieder im Fokus meiner Veröffentlichungen stehen, vor allem auch deshalb weil ich es nach wie auf vielen anderen Seiten nicht finde.

Du hast auch ein Buch geschrieben? Wie heißt es und worum geht es darin?

Das Buch „Ein Kind mit Autismus zu begleiten, ist auch eine Reise zu sich selbst“ ist quasi das Buch zum Blog. Ich habe viele verschiedene Themen aufgegriffen und eine ausführliche Elternbefragung einfließen lassen, so dass auch viele andere Eltern mit ihren Gedanken, Gefühlen und Erfahrungen zu Wort kommen. Es geht darin zum einen darum, zu verstehen, was Autismus überhaupt ist, darum, wie es sich im Familienleben auswirkt, wenn man ein autistisches Kind hat, und auch darum, wie sich Eltern mit dieser Aufgabe verändern und weiterentwickeln.
Es ist kein Fachbuch, sondern schildert Gedanken und Erlebnisse direkt aus dem Alltag.

 

Hier ist der Link zu Silkes Buch:
https://www.amazon.de/Kind-Autismus-begleiten-Reise-selbst/dp/3741224588/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1506511779&sr=8-1&keywords=silke+bauerfeind

2 Kommentare zu „Interview mit Ellas Blog“

  1. Die Mutter eines 12-jährigen Sohnes, Shirfa Klein, ist ein starker Befürworter der Verwendung von CBD-Öl zur Überwindung von Autismus. Bei seinem Sohn wurde im Alter von nur 2 Jahren schwerer Autismus diagnostiziert. Laut Klein hat die Verwendung von CBD-Öl für ihren Sohn ein Wunder bewirkt, und er konzentriert sich jetzt mehr auf die Schule. Er kann neue Konzepte leicht verstehen und im Klassenzi

    1. Ich kenne mich zwar mit CBD-Öl nicht aus, aber “Überwindung” von Autismus klingt für mich komisch. Man kann lernen mit Autismus besser umzugehen und damit zu leben, aber man wird den Autismus ja nicht wieder los.

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