Ich bin behindert. Na und?

Vor kurzem habe ich eine Beschreibung von einem Buch über Autismus gelesen. Dort stand, dass die Autorin nicht den Begriff „Behinderung“ benützen möchte, weil sie das Wort nicht schön findet. Es ist ihr zu negativ. Als ich das gelesen habe, wusste ich sofort, dass mein nächster Blogbeitrag über das Thema „Behinderungen“ sein sollte. Ich sehe es nämlich so, dass man eine gewisse Verantwortung hat, wenn man öffentlich über Behinderungen redet, sei es ob als Autor, Blogger oder was auch immer. Und wenn man dann tatsächlich denkt, dass das Wort „Behinderung“ negativ besetzt ist, sollte man versuchen etwas dagegen zu tun.

Bevor ich meine Diagnose bekommen habe, hat sich meine Familie nicht mit Asperger ausgekannt. Als sie dann gelernt haben, dass Autismus eine Behinderung und keine Krankheit ist, wollten sie das Wort Behinderung nicht wirklich benutzen. Ich fand es am Anfang auch komisch.

Aber was ist so schlimm an dem Wort „Behinderung“? Verbinden Leute damit, dass jemand bestimmte Dinge nicht kann, Hilfe braucht oder eingeschränkt ist? Und wenn ja, was ist so schlimm daran? Oder ist es, dass Leute vor Dingen Angst haben, die anders sind? Autisten sind nicht gefährlich, nur weil sie anders denken. Ich glaube, meine Familie wollte mich auch ungern als behindert bezeichnen, weil ich eher auf der hochfunktionalen Seite des Autismus bin. Wahrscheinlich denken sie, dass ich zu schlau bin und mein Leben zu gut meistere.

Aber genau da sehe ich das Problem. Ich finde, es wirkt so als ob die Gesellschaft denken würde, dass Behinderte kein Leben haben können, dumm sind oder weniger wert. Aber eigentlich bedeuten Behinderungen ja nur, dass man bei manchen Sachen eingeschränkt ist und Dinge manchmal etwas anpassen muss. Blinde können zwar nicht sehen, aber können sich mit einem Blindenstock trotzdem zurechtfinden. Leute mit Amputationen brauchen eventuell Prothesen, Querschnittgelähmte einen Rollstuhl. Für mich bedeutet es zum Beispiel, dass ich öfters mehr Pausen brauche und nicht zu lange unter vielen Menschen sein kann. Aber wenn ich auf mich aufpasse und Dinge an meine Bedürfnisse anpasse, kann ich ein ziemlich normales Leben haben.

Und nur weil ich behindert bin, heißt das nicht, dass ich nicht auch meine Träume erreichen und über mich hinauswachsen kann. Ich werde meine Träume auch erreichen, nur vielleicht auf einem anderen Weg als die meisten anderen.

Als Autist denke ich auch einfach sehr logisch. Ich habe das Asperger-Syndrom und Asperger ist eine Behinderung. Ich finde die Aussage „Ich BIN autistisch“ besser als „Ich HABE Autismus“, weil man Autismus nicht von mir wegnehmen kann. Also wenn ich sage, dass ich autistisch bin, stimmt es genauso, dass ich behindert bin. So ist es. Egal ob jemand das Wort hübsch findet oder nicht, es ist die Wahrheit!

Als ich meinem Vater erzählt habe, dass ich die Aussage „Ich BIN autistisch“ am liebsten mag, hat er geantwortet: „Vergiss nicht, dass du auch noch Nici bist“. Aber das schließt sich ja nicht gegenseitig aus. Nur weil ich autistisch bin, heißt es nicht, dass ich nicht auch noch vieles mehr bin. Ich sehe Autismus eher als Eigenschaft von mir genauso wie ich es als Eigenschaft von mir sehe, dass ich eine Frau bin. Frauen denken anders als Männer. Das heißt, egal was ich mache oder sage, es ist immer auf eine weibliche Art und Weise. Man IST nämlich weiblich und HAT nicht Weiblichkeit. Man kann Frau-Sein nicht von sich ablegen. Und genau so wenig kann man Autismus zur Seite legen. Es ist immer ein Teil von mir, aber eben auch nur einer von vielen Teilen.

10 Kommentare zu „Ich bin behindert. Na und?“

  1. Hallöchen 🙂

    bin eben, durch Zufall, über deinen Blog gestolpert, weil ich spezifisch nach Blogs von Autisten gesucht habe, da ich dieses ganze Thema so unfassbar interessant finde.

    Vielen Dank für diesen, wirklich, tollen Beitrag.

    Viele Grüße Fräulein_Ich von pferdigunterweg.com

  2. Angela Middlecamp-Sommer

    Hallo Nici,
    Im kommenden Jahr möchte ich das Thema Frauen und Asperger in meiner Wohnregion thematisieren. Im Rahmen der Tage der seelischen Gesundheit soll es eine Art Ausstellung geben. Kunst, Simulation der Lebenswelt bei der besonderen Wahrnehmung. Im Moment suche ich mit einer anderen Frau zusammen Therapeuten oder Psychologen, die am Thema interessiert sind.

  3. Hallo Nici,

    ich kann mich ebenfalls nicht der Ansicht anschliessen das Autisten “behindert” sind. Bloss weil jemand anders denkt und seine Umgebung wahrnimmt heisst das für mich nicht das er/sie behindert ist.
    Di schreibst: “kann ich ein normakes Leben” führen. Das ist eben der Punkt. Normal? Wessen normal? Wer bestimmt denn was “normal” ist?

    1. Hallo Bernd,
      Ich finde, es ist einfach so, dass wir Autisten bestimmte Herausforderungen haben, die NTs nicht haben. Und das bedeutet, dass wir behindert sind. Aber das bedeutet ja nicht gleich, dass wir weniger wert sind oder so. Es ist einfach nur eine Bezeichnung.
      Über das Wort “normal” lässt sich natürlich streiten. Ich sehe “normal” einfach als die Mehrheit der Menschen.
      Liebe Grüße,
      Nici

  4. hi Nici, hab gesehen dass du die Petition vom Arvid Segebrecht unterschrieben hast. Meine ganze Familie hat auch unterschrieben. Also mein Vater natürlich auch als “Betroffener”. Mit ihm hatte ich die Discussion über mein Selbstverständniss als Tomi/Autist auch schon. Hat uns beiden geholfen, weil die Familienmitglieder ja mit uns klar kommen sollen.

  5. Pingback: Journalistische Verantwortung einer Krankenkasse

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