“Liebe Lehrer” – ein Brief an meine früheren Lehrer

Ich schreibe ihnen diesen Brief, weil ich hoffe, dass sie etwas von meiner Geschichte lernen können. Ich war 11 Jahre alt, als ich bei ihnen am Gymnasium angefangen habe. Ich war glücklich, recht zurückhaltend, hatte aber gute Freunde. Ich bin gerne in die Schule gegangen.

Das Einzige, was mir schwerfiel, war mich zu melden und im Unterricht etwas zu sagen. Ich weiß nicht, ob sie es bemerkt haben, aber, als ich 15 war, ging es mir langsam schlechter und schlechter. Ich war oft traurig, habe mich nicht mehr auf die Schule gefreut und habe mir schwergetan mich zu konzentrieren.

Heute weiß ich, dass das damit zusammenhängt, dass ich Autistin bin. Ich habe Asperger. Aber das wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Ich habe meine Diagnose erst bekommen, als ich 22 war.

Hatten sie einen Verdacht?
Hatten sie jemals einen Verdacht, dass ich anders war? Und haben sie auch darüber nachgedacht, woran es hätte liegen können?

Ich weiß, dass ich wirklich gut darin war mich anzupassen und so zu tun, als ob ich nicht Autistin wäre. Das heißt, ich verstehe gut, wenn ihnen mein Autismus nicht aufgefallen ist. Aber sie haben bestimmt irgendetwas bemerkt. Ich war anders als das typische ruhige Mädchen, finden sie nicht?

Sozialpädagogin
Hi. Sie waren die erste, mit der ich jemals über meine Probleme geredet habe. Meine Freundin hat mich dazu gebracht mit ihnen zu reden. Ich war wirklich nervös, aber vermutlich auch erleichtert endlich mit jemandem reden zu können. Ich weiß, dass sie sich wirklich viel Mühe gegeben haben mir zu helfen, aber es war schwierig. Wir konnten nicht wirklich herausfinden, wieso es mir so schlecht ging und ich hatte auch nicht die Energie etwas daran zu ändern.

Aber sie haben mir auf jeden Fall damit geholfen den Schulpsychologen zu kontaktieren. Danke dafür, dass sie das getan haben.

Schulpsychologe A & B
Liebe Schulpsychologen. Es gibt vermutlich wenige Schulen, die gleich mehrere Schulpsychologen haben. Aber das hatten wir an unserer Schule.

Ich kann mich ehrlich gesagt gar nicht mehr daran erinnern, wie es dazu kam, dass ich mit ihnen beiden in Kontakt war. Ich habe wahrscheinlich zuerst mit ihnen geredet, Schulpsychologe A. Haben sie mich nicht auch dazu überredet, dass ich mit meiner Mutter über meine Probleme reden sollte, damit ich in Therapie anfangen kann? Das war ein schwieriger Schritt für mich. Schulpsychologe B, sie haben, glaube ich, später bei uns an der Schule angefangen haben. Aber sie haben auch versucht mir zu helfen.

Ich bin mir sicher, dass das für sie beide nicht einfach war. Ich wollte nicht wirklich mit Psychologen reden. Ich kam mir verkehrt vor. Und wir wussten zu dem Zeitpunkt nicht, dass mir mein Autismus vermutlich die meisten Probleme gegeben hat. Hauptsächlich will ich mich einfach bei ihnen bedanken. Vielleicht kann mein Brief ihnen auch etwas helfen. Eventuell können sie durch meine Geschichte etwas mehr über Autismus lernen. Und das nächste Mal, wenn sie ein Mädchen mit den gleichen Herausforderungen treffen, wie ich sie hatte, können sie ihr vielleicht besser helfen.

Lehrer A
Lieber Lehrer A, sie haben mich in einem Fach unterrichtet, das ich wirklich geliebt habe. Ich war auch wirklich gut darin. Ich glaube, die ersten zwei Jahre habe ich so gut wie nur Einser geschrieben. Aber ich habe mich nie gemeldet. Also haben sie mich dazu „gezwungen“ etwas im Unterricht zu sagen. Das fand ich nicht so toll.

Ich weiß, dass sie vermutlich auch Regeln haben. Sie müssen wahrscheinlich Schüler dazu bringen am Unterrichtsgespräch teilzunehmen. Aber ich hätte mir gewünscht, dass sie mich gefragt hätten, wieso ich mich nie gemeldet habe. Es wäre schön gewesen, wenn wir zusammen hätten eine Lösung finden können.

Sie dachten, dass ich mein Wissen einfach nicht mit der Klasse teilen wollte. Aber so war das nicht. Es hat mich recht traurig gemacht, dass sie das über mich gesagt haben. Nächstes Mal, wenn sie einen ruhigen Jungen oder ein ruhiges Mädchen in der Klasse haben, könnte es vielleicht eine Möglichkeit sein, ihn/sie zu fragen, ob sie etwas dafür tun können, damit er/sie sich sicherer fühlt um in der Klasse etwas zu sagen?

Lehrerin B
Liebe Lehrerin B, ihr Fach mochte ich wirklich auch sehr. Ich war auch relativ gut darin. Sie sind eine wirklich einzigartige Person. Für sie sind Menschen wie ein offenes Buch. Das glaube ich zumindest. Sie haben mich immer angeschaut, als ob sie all meine Gedanken hätten lesen können. Ich bin mir recht sicher, dass sie wussten, dass etwas nicht stimmte. Dass es mir schlecht ging. Aber sie haben nie nachgefragt.

Ich hoffe, sie alle verstehen, dass ich ihnen nicht sauer bin und ich ihnen nichts vorwerfen möchte. Ich schreibe diesen Brief nur, weil ich jede Menge Fragen habe und ich neugierig bin. Und ich hoffe, dass ich ihnen eventuell dabei helfen kann, anderen Schülern mehr zu helfen.

Sind wir in Deutschland vielleicht einfach so, dass wir nicht nachfragen, wie es anderen geht? Ich wohne mittlerweile in Dänemark, das heißt, ich habe auch ein anderes Schulsystem erlebt. Es wäre spannend zu wissen, ob es einen Unterschied zwischen deutschen und dänischen Lehrern gibt.

Lehrerin C
Hi. Sie haben mich im gleichen Fach unterrichtet wie Lehrer A, nur ein paar Jahre später. Ich habe das Fach immer noch sehr gemocht. Ich war vermutlich nicht mehr ganz so gut darin wie am Anfang, aber ich war immer noch relativ gut. Irgendwann mussten wir zu einer mündlichen Prüfung. Ich habe ihnen gesagt, dass ich nicht daran teilnehmen konnte. Es ging mir zu dem Zeitpunkt psychisch zu schlecht. Aber das habe ich ihnen nicht erzählt. Der größte Grund, weshalb ich nicht zur Prüfung wollte, war ehrlich gesagt, dass ich in ein anderes Klassenzimmer hätte müssen und alleine zur Prüfung hätte gehen müssen. Das konnte ich wegen meines Autismus nicht.

Aber wie gesagt, zu dem Zeitpunkt wusste niemand von uns etwas von meinem Autismus. Ich war trotzdem überrascht, dass sie nie nachgefragt haben, wieso ich nicht zur Prüfung wollte. Es wäre so toll gewesen, wenn wir zusammen hätten eine Lösung finden können. Wenn ich zum Beispiel mehr über den Prüfungsablauf hätte wissen können, hätte ich es vermutlich locker geschafft.

Lehrer D
Hallo, Lehrer D. Sie waren eigentlich nie mein Lehrer. Sie waren eher ein Beratungslehrer. In der elften Klasse bin ich mal zu ihnen gekommen und habe gesagt, dass ich es nicht schaffen konnte in den Unterricht zu gehen. Es ging mir wirklich schlecht. Sie haben mir erlaubt, die eine Stunde zu überspringen, ein einziges Mal. Aber es durfte nicht noch einmal passieren. Die letzten zwei Jahre am Gymnasium waren wirklich schwierig für mich, weil unsere Kurse unterschiedlich zusammengesetzt wurden. Ich hatte so gut wie keine Freunde in meinen Kursen.

Generell gab es einfach zu viele Änderungen in der Oberstufe. Das war der Horror für meinen Autismus. Irgendwann habe ich sie gefragt, ob ich meinen Bio-Kurs wechseln könnte. Dort habe ich mich am unwohlsten gefühlt. Ich habe einen Brief von meiner Mutter gebraucht und ich musste mit dem Direktor reden. Aber dann durfte ich den Kurs wechseln. Weil es mir psychisch zu schlecht ging.

Können sie mir einen Gefallen tun?
Sie haben alle ihr Bestes gegeben. Da bin ich mir sicher. Es ging mir einfach schlecht, vor allem in der Oberstufe, aber ohne meine Autismus Diagnose konnte man mir vermutlich nicht mehr helfen, als sie es alle getan haben.

Aber würden sie mir einen Gefallen tun? Wenn sie jemanden treffen, der mir ähnelt, würden sie ihn/sie einmal extra fragen, wie es ihm/ihr geht und ob sie irgendwie helfen können? Vielleicht braucht der-/diejenige einfach nur eine kleine Anpassung und das würde einen riesigen Unterschied machen.

1 Kommentar zu „“Liebe Lehrer” – ein Brief an meine früheren Lehrer“

  1. Super Idee, Briefe an frühere Lehrer, Psychologen und Pädagogen zu schreiben! Vielen Dank, sehr schön und berührend. Inspiriert mich, mich ebenfalls mal hinzusetzen und das zu machen.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert