Eine Kette, die auseinander gerissen wird. Schrift daneben: "Aber das muss sie lernen" Herausforderungen im Alltag

“Aber das muss sie lernen”

Herausforderungen im Alltag

Ich habe vor kurzem einen Beitrag auf Instagram gelesen, bei dem mir fast die Tränen gekommen wären. Der Beitrag ist von einer Mutter, die davon berichtet, dass Ärzt:innen, Pädagog:innen usw. immer wieder über ihre Tochter sagen: „Aber das muss sie lernen.“ Sie meinen zu wissen, wie die Tochter mit Herausforderungen im Alltag umzugehen hat. Es geht zum Beispiel darum, dass Außenstehende sagen, die Tochter müsse lernen mit Veränderungen umzugehen, andere „ordentlich“ zu begrüßen und allein zu schlafen. 

Ein riesiges Danke an die Mutter

Als ich den Text gelesen habe, war ich erst mal (unbekannterweise) so stolz auf diese Mutter. Sie gibt sich so viel Mühe die Bedürfnisse ihrer Tochter zu verstehen, sie kämpft für sie und setzt sich für sie ein. Ich liebe es, wenn ich von Eltern lese, die so eine wundervolle Art haben mit ihren Kindern umzugehen. 

Soll man sich Herausforderungen stellen?

Aber wie ist das denn jetzt eigentlich mit Herausforderungen im Alltag? Soll man sich ihnen stellen oder soll man um Hilfe bitten und Unterstützung annehmen? Ich kenne das Dilemma nur zu gut. Einerseits mache ich mir selbst ständig Gedanken darüber, wie viel ich allein schaffen kann. Andererseits gibt es auch noch die Außenwelt, die immer eine Meinung zu dem Ganzen hat. 

Die Meinung anderer

Ich höre oft von anderen: „Wenn du dich dieser Herausforderung nicht stellst, wirst du es nie lernen!“, „Du musst das aber auch allein können!“ oder „Du musst dich der Situation stellen!“.

Das Problem mit der Meinung Anderer

Diese Aussagen haben schon mal ein dickes grundlegendes Problem: Ich habe gar nicht um die Meinung gefragt. Es kann gut sein, dass der/die Gegenüber es gut meint. Aber ungefragt Meinungen zu teilen, ist meistens nicht gerade angebracht.

Das zweite Problem ist, dass andere mich nie so gut kennen können, wie ich mich selbst kenne. Da frage ich mich: Kann die Person nicht darauf vertrauen, dass ich weiß, was für mich das Beste ist?

Ein Beispiel

Lasst uns mal ein halb-fiktives Beispiel nehmen: Wenn ich in der Vergangenheit einen Coronatest habe machen lassen, habe ich oft meinen Mann mit zu der Teststation und auch mit zu dem Test genommen. Da könnten Außenstehende schnell denken: „Das musst du doch auch selbst können. Was ist denn überhaupt so schwer daran? Was ist, wenn dein Mann mal nicht mitkommen kann?“

Mein Umgang mit Herausforderungen im Alltag

Ich sehe das Ganze so: Ich kann allein mit dem Bus zur Teststation fahren. Ich kann auch allein den Test durchführen lassen. Aber wenn ich beides allein erledige, muss ich auch mit den Konsequenzen umgehen. 

Ein Handel

Es ist ständiger Handel. Wenn ich mich der einen Herausforderung stelle, habe ich vermutlich nicht die Energie für etwas anderes. Fahre ich allein zum Coronatest, kann ich abends zum Beispiel eventuell nicht mehr kochen, kreativ sein oder einfach nur Zeit mit meinem Mann genießen. Das heißt, ich muss immer abwägen, was mir wichtiger ist. Vielleicht ist es bei der Tochter in dem Instagram Beitrag, von dem ich am Anfang erzählt habe, ganz ähnlich. Wenn sie im Kindergarten einen Pädagogen oder eine Pädagogin „ordentlich“ begrüßen muss, hat sie vielleicht später nicht mehr die Energie mit den anderen Kindern zusammen zu sein. Da muss man sich doch fragen: Was ist eigentlich wichtiger?

1 Kommentar zu „“Aber das muss sie lernen”“

  1. Wie gut ich das kenne… Es hat viele Jahre gedauert, bis ich endlich lernte, mit diesem Druck von außen, diesem “Du musst das doch können” umzugehen. Heute habe ich deswegen kein schlechtes Gewissen mehr. Ich bin stolz auf mich, wenn ich etwas schaffe, das mir schwer fällt. Aber ich weiß, dass ich nicht immer alles machen muss, sondern auch einmal Dinge ruhen lassen oder mir Hilfe holen kann.

    Vielen Dank für deinen Blog! Ich habe (noch) keine offizielle, gesicherte Diagnose und weiß auch nicht, ob ich die überhaupt anstreben möchte. Aber dein Blog ist hilfreich und tröstlich zugleich – ich sehe, dass ich nicht allein bin mit meinem Anderssein.

    LG

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