Auswandern als Autistin

Die meisten von euch wissen vermutlich schon, dass ich vor mehr als sechs Jahren nach Dänemark ausgewandert bin, aber die wenigsten kennen die ganze Geschichte dazu. In diesem Beitrag will ich euch ein bisschen davon erzählen, wie es dazu kam, dass ich ausgewandert bin, wie die Auswanderung war und wieso ich in all den Jahren nicht doch zurück nach Deutschland gegangen bin.

Nach dem Abi
In den letzten Monaten vor dem Abitur haben sich viele meiner Freunde schon dafür entschieden, was sie danach machen wollten. Einige wollten ins Ausland gehen, andere wollten ein Studium oder eine Ausbildung anfangen. Die meisten wussten irgendwie genau, wie sie nach dem Abitur weitermachen wollten. So war das bei mir gar nicht. Ich wusste, dass ich irgendwann studieren wollte, aber ich hatte noch keinerlei Ahnung in welche Richtung es gehen sollte. Ein Auslandsaufenthalt war auch eine Überlegung, aber geplant hatte ich zu dem Zeitpunkt gar nichts. Kurz nach dem Abitur habe ich dann erst mal für zwei Wochen eine Interrail Reise mit meiner besten Freundin gemacht. Wir sind über Frankreich in die nordwestlich liegenden Länder und weiter nach Skandinavien.

Das Hostel in Norwegen
Als wir in Norwegen waren, haben wir in einem Hostel übernachtet, das außerhalb der Sommerzeit eine Højskole war. Wir haben zu dem Zeitpunkt aber nicht wirklich verstanden, was eine Højskole überhaupt war. Es wirkte wie ein Internat, die Schüler auf den Bildern waren aber viel älter. Mehr dazu später…

Nach der interrail Reise
Als wir von der Reise zurückgekommen sind, fing meine Mutter langsam an nachzufragen, was ich denn jetzt mit meinem Leben nach dem Abitur anfangen wollte. Also habe ich mich ans Googlen gemacht. Ich habe alle Möglichkeiten untersucht, was ich im Ausland unternehmen könnte. Da war Work and Travel, Freiwilligencamps, Au-pair Aufenthalte. Nichts von dem hat mich so richtig angesprochen. Aber dann habe ich darüber nachgedacht nach Skandinavien zu gehen und da habe ich plötzlich etwas über diese Højskolen gelesen. Das hat mich neugierig gemacht.

Højskole – was ist das?
Ich habe rausgefunden, dass eine Højskole eine Art Ganztags-Volkshochschule ist. In den skandinavischen Ländern gehen viele junge Leute an so eine Schule, wenn sie nach dem Abitur zum Beispiel nicht wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Das war perfekt für mich. Immerhin wusste ich so gar nicht weiter. Ich habe also alles gegoogelt, was ich über diese Schulen finden konnte und ich war so begeistert. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich meine beste Freundin, mit der ich auf der interrail Reise war, besucht habe und ihr von den Schulen erzählt habe. Ich habe etwa in diese Richtung gesagt: Da gibt es so Schulen in Skandinavien, die genau dafür da sind, dass man herausfinden kann, was man mit seinem Leben anstellen will. Ist das nicht cool? Ich glaube, sie war etwas verwirrt. Genauer konnte ich nämlich auch nicht erklären, was das für Schulen waren.

Mein Auslandsaufenthalt
Es ging dann alles doch recht plötzlich. Ich habe gegoogelt und gegoogelt, mit verschiedenen Schulen geschrieben und im August stand dann auch schon die Entscheidung: ich wollte für ein halbes Jahr an eine Højskole in Dänemark gehen. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich es meiner Familie an meinem Geburtstag erzählt habe und dass ich von meiner Mama, die es natürlich schon wusste, weil wir ja zusammen gewohnt haben, ein Buch zum Dänisch lernen bekommen habe.

Die Auswanderung
Im Januar 2014 ging es los. Ich habe den Nachtzug von München nach Hamburg genommen und bin dann in einen ICE nach Dänemark umgestiegen. Im Nachtzug war ich noch begeistert, aber im ICE sah es plötzlich ganz anders aus. Ich war so todunglücklich. Ich war den Tränen total nahe und dachte mir die ganze Zeit: “Wieso mache ich das nur? Ich will doch einfach nur nach Hause und mit meiner Familie und meinen Freunden zusammen sein”.

Auswandern als Autistin
Als ich ausgewandert bin, wusste ich noch nichts von meiner Asperger Diagnose. Die Diagnose habe ich erst Jahre später bekommen. Vermutlich hätte ich mich sonst auch nie getraut auszuwandern. Ich glaube, der Grund, weshalb ich die Auswanderung trotzdem so gut durchgestanden habe, war, dass ich ja an eine Schule gegangen bin und dort wirklich viel Struktur hatte. Ich musste mich natürlich erst mal daran gewöhnen und die ersten Wochen habe ich bestimmt auch jeden Tag geweint und wollte wieder zurück, aber als ich mich erst mal eingelebt habe, hat mir die Schule wirklich viel Sicherheit gegeben.

Wie ging es weiter?
Vielleicht erinnert ihr euch noch: mein Plan war es ein halbes Jahr an der Schule zu bleiben. Nach dem halben Jahr habe ich mich dann aber doch erst mal dazu entschieden noch ein halbes Jahr zu bleiben. Und nach diesen sechs Monaten wollte ich Aupair sein. Das ist nicht gerade gut gelaufen und das ist eine ganz andere Geschichte, aber selbst danach wollte ich erst mal in Dänemark bleiben.

Wieso bin ich nie zurück?
Ich glaube, ich bin nie zurück gegangen, weil ich mich an das Leben in Dänemark gewohnt habe. Ich war 19, als ich aus Deutschland weggegangen bin, das heißt, ich habe keine wirklichen Erfahrungen damit, wie es ist in Deutschland als Erwachsener zu leben. In Dänemark habe ich das langsam gelernt und umso mehr ich dazu gelernt habe, desto unbekannter und ungewisser ist Deutschland für mich geworden.

Mittlerweile ist es natürlich auch nochmal etwas ganz anderes. Ich bin mit einem Dänen verlobt und werde ihn nächstes Jahr heiraten (wenn Corona es zulässt), das heißt, es geht jetzt nicht mehr nur darum, wo ich leben möchte sondern auch, was mein Verlobter möchte.

Eure Fragen von Instagram
Auf meinem Instagram Account @unbemerkt.eu habe ich euch die Möglichkeit gegeben mir Fragen zu dem Thema „Auswandern als Autistin“ zu stellen. Hier beantworte ich einige dieser Fragen.

War es damals schwer dich von deiner Familie zu lösen?
Oh ja, es war so schwer für mich. Deswegen habe ich die ersten Tage auch so viel geweint, als ich in Dänemark angekommen bin. Ich glaube, was mir etwas geholfen hat, war, dass wir an der Schule so viel zu tun hatten und man sich immer ablenken konnte.

Woher nimmst du den Mut?
Ich könnte mir vorstellen, dass ich mich getraut habe, nach Dänemark zu gehen, weil ich einfach so begeistert war. Es hat sich einfach perfekt angehört und angefühlt. Und der Plan war es ja auch nicht auszuwandern, sondern einfach nur ein halbes Jahr an eine Schule zu gehen. Das klingt doch gleich viel einfacher als auswandern, oder nicht?

Offizielle Diagnose im neuen Land erneut durchlaufen oder reicht das Original von der Heimat?
Das ist eine wirklich gute Frage. Ich könnte mir vorstellen, dass die Diagnose von der Heimat genug ist, wenn man sie übersetzen lässt, aber ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Immerhin habe ich meine Asperger Diagnose erst in Dänemark bekommen.

Würdest du Auswandern konkret nach Dänemark anderen Autisten empfehlen? Zum Beispiel wegen dem anderen Umgang mit Autisten?
Ich glaube nicht, dass ich Autisten direkt empfehlen würde auszuwandern, weil das mit unglaublich vielen Veränderungen verbunden ist. Da muss man sich schon sehr gut vorbereiten. Wenn man sich allerdings frei entscheiden könnte zwischen Deutschland und Dänemark, würde ich vermutlich Dänemark wählen. In den nächsten paar Wochen schreibe ich mal einen genaueren Blogbeitrag dazu, was die Unterschiede für Autisten in Dänemark und Deutschland sind.

2 Kommentare zu „Auswandern als Autistin“

  1. Seit Jahrzehnten lese ich “alles” über Autismus und habe mich dieses Jahr während dem Look Down das erste mal in meinem Leben gefragt ob ich eigentlich selber ein “Asperger Syndrom” “habe”..!!??!! Da sehe ich mir heute Abend Deinen Beitrag auf ZDF tv app an und sehe soo viele Parallelen..!?!.. Ich fühle mich wie eine PrivatdetektivIN, die ihrem eigenen Leben (s) Rätsel auf die Spur kommt!?!…

    1. Als ich meine Diagnose noch nicht hatte (aber den Verdacht) kam ich mir definitiv auch wie eine Detektivin vor. Hast du dir schon mal überlegt, dich testen zu lassen?

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